Eine Zeit lang dachte Yogalehrerin Tanja Forcellini, eine strikte Routine aus Yoga, Atemübungen und Meditation sei unerlässlich für ihre Zufriedenheit. Seit sie ihren Sohn hat, schafft sie das nicht mehr so oft – und ist heute gelassener denn je.
Emotion: Frau Forcellini, wie geht Ihr Tag los? Mit Yoga?
Tanja Forcellini: Wenn Sie Yoga auf der Matte meinen: nein. Denn morgens möchte ich Zeit für meinen Sohn haben. Aber Yoga meint ja mehr als Körperübungen, so etwas wie Aufmerksamkeit und Selbstdisziplin gehören dazu. Insofern beginnt mein Tag sehr wohl mit Yoga. Auf die Matte schaffe ich es zurzeit nur zwei- bis dreimal in der Woche. Bevor Kailash geboren wurde, habe ich fünf Jahre lang ganz intensiv praktiziert. Jeden Morgen um sieben, fünf bis sechs Tage die Woche.
Und, haben Sie jetzt manchmal das Gefühl einzurosten?
Unmöglich mit Kailash! Wir sind so viel auf dem Velo, auf dem Klettergerüst, spielen Fussball. An Bewegung fehlt’s mir nicht. Meine Prioritäten haben sich verschoben. Vieles, von dem ich dachte, das brauch’ ich unbedingt, ist weggefallen.
Zum Beispiel?
Tatsächlich muss ich nicht täglich Yogaübungen machen. Ich brauche auch die äussere Stille viel weniger, als ich lange Zeit dachte. Man ist manchmal so festgefahren in seinen Überzeugungen. Da meint man zu wissen, wer man ist, und dann kommt so ein Menschlein und rüttelt alles durcheinander. Interessanterweise fühle ich mich überhaupt nicht unzufriedener deswegen. Das ist schon eine grosse Erkenntnis.
Das klingt sehr entspannt.
Manchmal denke ich, dass die Jahre auf der Matte und die Monate, die ich vor fünf Jahren in einem Aschram im nordindischen Haridwar verbracht habe, in mir den Samen für mein jetziges Leben gepflanzt haben. Offenbar war das genau mein Weg.
Inwiefern?
Es begann schon damit, dass ich einer Freundin erzählte, für welchen Aschram ich mich entschieden hatte. Sie holte daraufhin einen Zeitschriftenartikel hervor, den sie seit 15 Jahren aufbewahrt hatte. Mein Aschram! Der Artikel handelte von einer Deutschen, die einem inneren Ruf folgt und nach Indien reist, am Ufer des Ganges auf ihren Guru trifft und seine Schülerin und Frau wird. Ich bekam Hühnerhaut. Denn ich spürte in dem Moment: Jetzt passiert etwas. Ich begab mich also dorthin und wohnte genau bei dieser Familie. Die Frau aus der Geschichte ist Kailashs Grossmutter. Zu seinem Vater habe ich eine bedingungslose tiefe Verbindung, für die ich bis heute schwer Worte finde.
Aber er lebt nicht hier mit Ihnen?
Sein Leben ist in Indien, meins in der Schweiz. Ich habe hier ein Superumfeld für Kailash und mich. Als ich vom Spital in meine WG zurückkehrte, waren meine Freunde und auch meine Familie zur Stelle. Sie haben für mich gekocht – auch mal eine Waschmaschine gefüllt – mich unterstützt. Ich hatte das grosse Glück, dass Schwangerschaft, Geburt und die Zeit danach unproblematisch verliefen. Dafür schulde ich dem Universum Dank, fand ich. Deshalb machte ich noch eine zusätzliche Weiterbildung zur Schwangerschafts-/Rückbildungsyogalehrerin. Yoga zu unterrichten, ist für mich ein Wahnsinnsgeschenk – ein Nach-Hause-Kommen – meine Heimat.
Was ist Ihre wichtigste Botschaft?
Hingabe. An die Positionen bzw. Situationen, die einem schwerfallen. Man kann im Leben auch nicht einfach davonlaufen. Es geht nicht darum, immer einen leichteren Weg finden oder woanders sein zu wollen. Das hat Yoga mich gelehrt
Schützt das davor, dass einem die Dinge über den Kopf wachsen?
Schon. Aber wenn ich mal voller negativer Gedanken bin, ist es für mich am besten, mich hinzusetzen und sie durch den Kopf schmettern zu lassen, bis sie verreisen. Das Schlimmste, was ich dann machen kann, ist, mich abzulenken, weil die Gedanken dann immer lauter werden. Zum Glück behalte ich einen klaren Kopf, selbst wenn die Wellen mal über mir zusammenschlagen.
Und wann geht es Ihnen richtig gut?
Auf Reisen. Wenn ich den Rucksack trage und meinen Sohn an der Hand habe, bin ich der glücklichste Mensch auf der Welt!
Tanja Forcellini, 34, lebt mit ihrem Sohn, 4, in Zürich. Sie unterrichtet Ashtanga- und Schwangerschaftsyoga, führt den Yogashop in der Zürcher Yogaschule AIRYOGA und organisiert Retreats im In- und Ausland. www.yogatanja.com