Sie wusste immer, sie wollte einen Roman schreiben. Nur wie das geht, wusste sie nicht. Bis sie in Paris einen jungen Mann traf. Heute ist Milena Moser eine der bekanntesten Schriftstellerinnen der Schweiz und ihr Bestseller "Die Putzfraueninsel" wird gerade zum Theaterstück.
Emotion: Waren Sie als Kind eine Leseratte?
Milena Moser: Total. Ich war ein Gstabi und lag mehrmals wegen Knochenbrüchen im Spital. Ohne Bücher hätte ich es dort nicht ausgehalten. Lesen war Flucht und Sucht.
Wieso Sucht?
Ohne Lesestoff in der Tasche drehe ich durch. Wenn ich im Zug auch nur eine Station fahren muss und nichts zum Lesen finde, werde ich nervös. Aus Verzweiflung lese ich sogar den Fahrplan.
Wann wussten Sie: Ich kann auch schreiben?
Bei mir ging es nie um die Frage, ob ich schreiben kann, sondern immer um das Machen und das Wollen. Ich wollte unbedingt einen Roman schreiben, wusste aber lange nicht, wie ich das anstellen soll. Ich schrieb zwar jahrelang Tagebuch, konnte mir aber nicht vorstellen, selbst eine Geschichte zu erfinden.
Wie haben Sie Ihre Zweifel überwunden?
Bei mir ging der Knopf erst mit 20 auf. Nach meiner Buchhändlerlehre ging ich nach Paris, um Französisch zu lernen. Dort war ich Mitglied einer Gruppe von jungen Filmemachern und Schreibern. Wir sprachen über Gott, die Welt und unsere Projekte. Jeder wurde gefragt, was er macht – auch ich.
Was haben Sie geantwortet?
Dass ich einen Roman schreibe und Schriftstellerin bin. Dabei hatte ich noch kein Wort geschrieben! Nur, die meisten in der Gruppe hatten ihre Ideen auch noch nicht verwirklicht, weshalb nie ein Projekt infrage gestellt wurde. Als ich gefragt wurde, wie mein Roman heisse, sah ich an der Wand ein Konzertplakat der Band "Tard dans la Nuit" hängen und antwortete: "Spät in der Nacht". Zwei Monate später stiess ein junger Mann dazu, der fragte, ob er meinen Roman lesen dürfe. "Klar", sagte ich, "nächste Woche bringe ich einige Seiten mit."
Dabei stand noch keine Zeile ...
So war es. Doch an diesem Abend übersprang ich die Hürde, die mir jahrelang den Weg versperrte hatte.
Ihr Aha-Moment?
Ja. Ich ging nach Hause und wusste, es gibt keine Ausrede mehr. Ich schrieb und schrieb. Eine Woche später gab ich dem Mann die ersten Seiten von „Spät in der Nacht“. Kein literarischer Hochgenuss, aber der Startschuss für mein Leben als Schriftstellerin.
Das Buch kenne ich gar nicht.
Es wurde auch nie veröffent- licht. Das Manuskript liegt bei meiner Mutter zu Hause in einer Schachtel.
Aber Sie sind Schriftstellerin geworden.
Ja, danach gab es kein Hal- ten mehr für. Bald schrieb ich einen zwei- ten Roman, dann einen dritten.
Dabei fanden Sie sechs Jahre lang keinen Verleger. Was hat Sie bewogen, nie aufzugeben?
Weil ich die Gewissheit hat- te: Ich will Romane schreiben. Ich wusste auch nicht, was ich sonst hätte tun sollen. Meine Freunde hatten eines Tages genug von meinem Gejammer und entschieden: „Wir bringen deine Bücher im Eigenver- lag heraus.“
... erst Ihre Kurzgeschichten „Mein erster bis elfter Mord“ und dann den Roman „Die Putzfrauen- insel“, der jetzt ja ans Theater kommt. Wann haben Sie erkannt, dass die Menschen Ihre Schreibe mochten?
Als Schriftstellerin hast du ja wenig Kontakt zu den Lesern. Bewusst wurde es mir erst, als Rosmarie Buri, die Autorin des Bestsellers „Dumm und dick“, 1994 zu mir sagte: „Meitschi, du und ich, wir schreiben für das Volk.“
Wo schreiben Sie am liebsten?
Im Café. In einem öffent- lichen Raum arbeite ich disziplinierter.
Wieso?
Weil ich das Gefühl habe, die Leute beobachten mich und sagen: „Jetzt bestellt die sich schon wieder einen Kafi, die würde besser mehr schreiben.“
Sind Sie eine Schreibwütige?
Was soll ich denn sonst tun?
Sie habe zwei Söhne und ein Hobby.
Ich habe kein Hobby.
Sie machen doch Yoga.
Das ist kein Hobby, das ist Maintenance, so wie Zähneputzen.
Milena Moser, 50, ist Schriftstellerin und Kolumnistin. Ihr aktueller Roman heisst "Montagsmenschen". Die Neuauflage von "Die Putzfraueninsel" erscheint im Juni beim Nagel & Kimche Verlag und als Taschenbuch bei dtv. Silvester hat das gleichnamige Theaterstück in Zürich Premiere. www.milenamoser.com