Wer zwei Kulturen in sich trägt, dessen Universum ist grösser. Die Herausforderungen sind es manchmal auch. Yangzom Brauen, Schweizer Schauspielerin in L. A., über die Prägung durch ihre buddhistischen Wurzeln.
EMOTION: Es heisst immer, Amerika sei das Land, um sich selbst zu erfinden. Stimmt das?
Yangzom Brauen: Das mag sein, wenn man mit einer guten Idee ankommt und hart dafür arbeitet. Aber ich wollte mich ja nicht neu erfinden, sondern mit der Schauspielerei weitermachen. Das ist hier viel schwerer als in Europa, weil alle Schauspieler nach Hollywood wollen. Ich sehe meine Zeit in L. A. als Lernprozess: Ich habe Gelegenheit, ständig neue Leute kennenzulernen und zu vielen Castings zu gehen.
Sie schreiben in Ihrem Buch "Eisenvogel", dass Sie wichtige Rollen erst bekommen haben – etwa die der Kontrahentin von Charlize Theron in dem Science-Fiction "Aeon Flux" –, nachdem Sie gelernt hatten, loszulassen. Fällt es Ihnen leicht, etwas loszulassen, das Sie unbedingt wollen?
Inzwischen bin ich ganz gut darin. Früher war das anders, da habe ich mir bei jedem Casting große Hoffnungen gemacht. Wenn dann der Agent anrief und sagte "Hat nicht geklappt", war das wahnsinnig schlimm für mich.
Was machen Sie jetzt anders?
Mittlerweile kann ich während eines Castings alles um mich herum ausblenden und ganz fokussiert sein. Man darf keine Angst haben, denn das Casting ist bereits der Job. Das liebe ich ja an der Schauspielerei: meine Rolle zu kennen und mich voll hineinzuwerfen. Das ist, als stünde man auf einer Klippe. Man springt einfach und weiss: Es wird schon gut.
Fällt einem das als Buddhistin leichter?
Möglich. Aber jeder kann seine innere Mitte finden und daraus agieren. Das hat viel mit richtiger Atmung zu tun. Tief in den Bauch zu atmen, beruhigt und schafft Konzentration für den Moment.
Was war die grösste Krise in Ihrem Leben?
Als ich mit 21 aus der Schauspielschule kam, dachte ich, mir stünde die Welt offen. Dann musste ich bei Castings hören, ich sähe zu exotisch aus. Etwa zu exotisch, um eine Tochter von Schweizer Eltern zu spielen. Das war sehr, sehr frustrierend und ich habe mich gefragt: Was werde ich denn je spielen können?
Wie sind Sie da herausgekommen?
Das war ein schleichender Prozess. Ich musste lernen, den Schalter umzulegen, mir sagen: Ja, genau, exotisch, das bin ich und das ist nichts Negatives. Entweder will man mich, wie ich bin, oder eben nicht. So habe ich langsam Frieden mit mir geschlossen. Und seit ich in den USA lebe, gehe ich als Kolumbianerin durch und könnte auch eine Ägypterin, Inderin oder Namibierin spielen.
Der Erfolg Ihres Buchs kam hingegen schnell. Gerade ist es auf Finnisch erschienen. Was ist das für ein Gefühl?
Ein überwältigendes. Eigentlich wollte ich einfach die Geschichte meiner tibetischen Familie erzählen. Und nun wird sie auf der ganzen Welt gelesen.
Ihre Grossmutter ist die Vertreterin des alten Tibet, Ihre Mutter die Mittlerin zwischen den Kulturen. Wie sehen Sie sich als halbe Tibeterin und halbe Schweizerin?
Ich bin privilegiert, weil ich in zwei Kulturen aufgewachsen bin, in der Ersten Welt lebe und Wahlmöglichkeiten habe. Die fehlten meiner Mutter. Denn meine Grossmutter wollte nicht, dass sie verwestlicht. Mich hingegen sieht sie als Westlerin, die halt ihre Sachen macht. Ich bediene mich aus den Schatztruhen beider Kulturen. Aus der tibetischen nehme ich die positive Lebenseinstellung. Tibeter lächeln oft. Je offener und freundlicher du auf jemanden zugehst, desto mehr bekommst du das zurück.
Und wenn Sie mal schlecht drauf sind?
Dann halte ich mir meine 91-jährige Grossmutter vor Augen. Sie ist immer fröhlich und zufrieden, obwohl sie so viel verloren hat: ihren Mann, die jüngste ihrer beiden Töchter und sogar ihre Heimat. Aber sie lebt im Moment und ist im Einklang mit sich selbst. Ihr ist bewusst, dass wir nur kurze Zeit hier sind und dass es darum geht, aus dieser Zeit das Beste zu machen. Weniger an sich selbst zu denken und mehr an die anderen. Daran arbeitet sie, seit sie mit fünf Jahren ins Kloster kam.
Die Bernerin Yangzom Brauen, 31, lebt als Schauspielerin in L. A.
2008 erschien "Eisenvogel" (Heyne), das erfolgreiche Buch über die Geschichte ihrer tibetischen Familie. Sie engagiert sich für ein freies Tibet und ist Botschafterin für Erdgas. Mehr auf www.yangzombrauen.com