Ständig schreien wir "Hier", sobald es etwas zu tun gibt. Überhaupt machen wir von allem viel zu viel: Ob Überstunden oder Sorgen.
Wie kommt man zur inneren Gelassenheit? Wie lässt man los und lebt sein Leben lässig und frei? Damit beschäftigt sich nicht nur unser Dossier in der aktuellen EMOTION. Auch unsere Blog-Autorinnen haben sich Gedanken darüber gemacht.
Ist es wichtiger, es allen recht zu machen oder sich selbst treu zu bleiben? Jeden Tag treffen wir viele, viele kleine Entscheidungen – und immer wieder ist unsere Einstellung gefragt: Selbstbestimmt oder fremdbestimmt entscheiden? Am besten bringt man mit einer Handlung möglichst viele voran. Nur, wenn das nicht geht, ich nicht mehr die Energie habe, alle mitzuziehen? Für wen entscheide ich mich dann? Für mich oder für die anderen? Tag für Tag bastelt man an seinem persönlichen, goldenen Mittelweg herum und plötzlich steht da dieser Mensch in deinem Leben, der alles klar stellt. Regeln aufstellt. Einen Veränderungsprozess in Gang setzt und dich auf den richtigen Weg bringt. Zack – siehst du alles aus einer anderen Perspektive und alles ist ganz einfach.
Meine Freundin A. begeisterte mich vom ersten Tag an. Wir waren beide neu in der Verlagswelt und verstanden uns auf Anhieb. Bald verbrachten wir jede Mittagspause zusammen und sahen uns fast jedes Wochenende. Wir waren hin und weg von Hamburg, wo wir beide grade erst neu hingezogen waren. Wir stürzten uns kopfüber hinein in die Großstadt. Die steife Brise, die einem hier an jeder Ecke um die Nase wirbelt, riss uns so etwas von mit. Evelyn Holst schreibt in ihrer Kolumne, dass frische Freundschaft sich manchmal anfühlt, wie frische Verliebtheit. Und das trifft es genau.
Mit umso größerer Wucht traf es mich, als A. den Vorschlag für einen Afterwork-Coffee am Mittwoch ausschlug, weil sie zum Sport gehen wolle. Mittwoch sei nun einmal ihr Sport-Tag. Da ihr Fitness-Studio 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche geöffnet hat, hatte ich dafür relativ wenig Verständnis. Dazu kam, dass wir unser Treffen wegen anderer Termine um eine ganze Woche verschieben müssten, wenn dieser Mittwoch wirklich nicht gehen sollte, argumentierte ich. Sie blieb standhaft.
Natürlich verkrachten wir uns wegen einer solchen Banalität nicht, aber wie das bei ganz zarten, frischen Freundschaften so ist, war ich auf der Hut, ob sie den Sport nicht einfach nur als Ausrede vorgeschoben hatte. Als passionierte gern-zu-oft-und-zu-schnell-Ja-Sagerin dauerte es einige Zeit, bis es Klick machte und ich sie endlich verstand. Während ich unter der Woche wenig schlief und die Treffen in meinem Terminkalender zeitweise eher abarbeitete als genoss, setzte sie Prioritäten. Sie achtete auf sich selbst, ohne sich dabei jemals illoyal gegenüber Sport-Mittwochen oder Freundinnen-Verabredungen zu verhalten. Ein Meisterwerk, das jedoch nach einfachen Regeln aufgebaut war. Das wollte ich auch. Ich erkor ebenfalls den Mittwoch zum Tag des Joggens, Pilates und Co., und schaffte mir am Wochenende einen halben Tag lang eine Ruhe-Oase nur für mich. Meine anderen Freundinnen brachten erstaunlich viel Verständnis dafür auf. Natürlich war es auch gar kein Problem, die Treffen mit ihnen um meinen neuen Sport-Tag und die Ruhe-Oase herum zu legen.
Obwohl es mir durch A. gelungen ist, Prioritäten zu erkennen und als wichtig genug einzustufen, um sie durchzusetzen, bin ich immer noch ein großer Ja-Fan. Zu viele Nein’s bringen einen irgendwann auch nirgendwo mehr hin, außer zu plötzlich sehr, sehr viel Zeit, die man allein verbringt. Ja’s dagegen führen uns an Orte, von denen wir vorher nicht gedacht hätten, dass sie uns gefallen würden. Sie führen uns aus unseren gemütlich eingelaufenen Bahnen zu außergewöhnlichen Mixgetränken und bizarren Kombinationen von Lebensmitteln, die dann mir nichts dir nichts zu unserem liebsten Gericht mutieren. Nein`s schaffen Klarheit und machen das Leben für ziemlich alle leichter. Vor allem schaffen sie Zeit für viele, viele Ja`s, die wir jetzt, wo es die Nein`s gibt, auch noch viel mehr zu schätzen wissen!