Oft haben wir das Gefühl, die Zeit läuft uns davon. Dann versuchen wir, sie einzuholen. Wir werden hektisch und regen uns auf. Schluss damit!
Bei dem Stichwort "Gelassenheit" muss ich immer sofort an die Stoa denken, diese berühmte philosophische Schule im antiken Griechenland, die den Begriff "stoische Gelassenheit" prägte. Darunter verstanden die ehrwürdigen Stoiker so etwas wie absolute Gemütsruhe. Von Nichts sollte man sich aus der Fassung bringen lassen und alles erdulden, was von außen auf einen einstürmt. Ist das wünschenswert? "Der Weise kann durch Gelassenheit jedem Schicksal trotzen" schrieb der stoische Philosoph Seneca vor ca. 2000 Jahren. Es ist schwer vorstellbar, dass die Stoiker mit dieser "Leidenschaftslosigkeit" glücklich waren. Die Art von Gelassenheit, die sie anstrebten, hat nach heutigem Verständnis eher etwas von Taubheit und Abgestumpftheit gegenüber den Geschehnissen des Lebens – seien sie nun freudvoll oder schmerzhaft. Sogar der Tod eines geliebten Menschen sollte den Gelassenen nicht aus der Ruhe bringen. Weisheit ist dem stoischen Gelassenen zum Glücklichsein genug.
Die neue Gelassenheit
Heute wünschen wir uns mehr Gelassenheit, und das zu Recht. Wir haben durch unsere ganzen technischen Wundergeräte garantiert mehr Stress und Zeitmanagement-Probleme als die antiken Denker sich je vorstellen konnten. Aber würden wir alle die stoische Gelassenheit anstreben, würden wir wie gefühlstote Zombies umherlaufen, die sich über nichts mehr ausgelassen freuen, keine Träne der Trauer vergießen und keinen Stolz der Anerkennung empfinden. Die Gelassenheit, die wir uns heute wünschen, ist nicht teilnahmslos, sondern priorisierend. Wir wollen schlechten Gedanken nicht mehr Raum im Kopf einräumen als sie verdienen, uns nicht unnötig über Dinge ärgern, die nicht zu ändern sind, ab und an einen Schritt zurücktreten und unser Leben mit Ruhe von außen betrachten. Aber gleichzeitig wollen wir mit allen Sinnen fühlen, uns vor Lachen schütteln und auch mal vor Trauer zittern.
Von den Stoikern können wir lernen, unwichtige Dinge nicht so nah an uns heranzulassen und nicht bei jeder Kleinigkeit in die Luft zu gehen. Außerdem erkannte Seneca schon damals, dass wir unsere Lebenszeit verschwenden, wenn wir uns von unwichtigen Dingen ablenken lassen. Er hatte nur eine eigenwillige Auffassung davon, was wichtig ist. Die Leidenschaft für die Dinge, von denen wir uns gerne aus der Fassung bringen lassen, sollten wir uns trotz dem Wunsch nach mehr Gelassenheit von niemandem nehmen lassen.