Wer sich schminkt und schön macht, ist oberflächlich und beugt sich dem Diktat der Schönheitsindustrie? Nein, sagt die Journalistin Autumn Whitefield Madrano. Mit 6 Thesen widerlegt sie dieses Vorurteil.
Geht es darum, die Schönheitsindustrie zu bashen, kann jede Frau mitreden: Der Druck, der auf uns ausgeübt wird, ist viel zu hoch! Wegen der hypermakellos retuschierten Bilder in der Werbung werden wir uns nie hübsch oder dünn genug fühlen!
Es sind Sätze, die Frauen ganz leicht über die Lippen gehen, weil wir wissen, dass diese Haltung von uns erwartet wird. "Kaum etwas ist gesellschaftlich so fest verankert wie die Überzeugung, dass Frauen unzufrieden mit ihrem Aussehen sein müssen“, schrieb Autumn Whitefield Madrano in der Einleitung ihres Buches "Face Value".
Warum schminken wir uns? Um Makel zu verdecken?
Aber fühlen wir uns tatsächlich so minderwertig? Die US-Amerikanische Journalistin, die für Frauenmagazine wie "Marie Claire" und "Glamour", aber auch für den britischen "Guardian" schreibt, hatte da zunehmend ihre Zweifel. Es schien ihr, als würden die Medien diese negative Haltung manifestieren, obwohl es da vielleicht noch eine ganz andere, positive Geschichte gäbe. Auch wenn die Feministin in ihr dachte: "Klar werden wir vom Schönheitsdiktat unterdrückt", liebte sie doch ihre Make-up-Routine am Morgen.
Sie fragte sich: "Mache ich das jetzt, um mein bestes Ich zu zeigen (lila Eyeliner) oder um Makel zu verstecken (Concealer)?" Irgendwo in ihrem Beautycase lag der Widerspruch, den sie auflösen wollte.
Also wühlte die 41-Jährige sich für ihr Buch durch viele Studien und sprach mit mehr als hundert Frauen, darunter eine Nonne, eine Burlesque-Tänzerin, eine Modefotografin und eine Bodybuilderin. Sie merkte bei den Interviews: Ich bin mit meiner inneren Zerrissenheit nicht allein. Wie oft hörte sie von ihren Gesprächspartnerinnen die Entschuldigung: "Ich hoffe, das klingt jetzt nicht arrogant, aber ich hatte nie ein Problem mit meinem Äußeren." Für viele Frauen war es automatisch mit Oberflächlichkeit verbunden, sich mit Schminken und ihrem Aussehen zu beschäftigen.
Unser komplexes Verhältnis zur Schönheit
Whitefield Madrano appelliert an uns, dieses Schwarz-Weiß-Denken zu durchbrechen. Denn Make-up, Mode & Co. haben in Wahrheit die Kraft zu beidem: Sie können verletzen und heilen. Wenn wir nicht anerkennen, wie komplex unsere Beziehung zum Thema Schönheit ist, werden wir immer im Klischee feststecken und uns nie gut mit dem fühlen können, was uns längst guttut.
Dies sind Whitefield Madranos wichtigste Thesen:
These 1: Überraschung! Wir sind doch zufrieden!
Fragte Autumn WhitefieldModrano Frauen, ob sie sich schön finden, kam ein promptes: "Nein!" Doch wenn sie etwas genauer nachhakte, ob es etwas gäbe, was sie an sich mögen, kamen Antworten wie: "Ich mag meine Haare" oder "Ich finde meine Augenfarbe hübsch." Der Begriff "schön" bedeutet für viele das obere Ende der Messlatte, fragt man breiter und detaillierter nach, bekommt man ganz andere Antworten. Das bestätigt eine weltweite Studie unter Leitung von Nancy Etcoff und Susie Orbach: Nur zwei Prozent von 3.200 befragten Frauen fanden sich schön, dafür sagten aber zwei Drittel, dass sie zufrieden mit ihrem Äußeren sind.
These 2: Schminken tut (oft) gut!
Es ist dieses kleine Ritual am Morgen, die vier, fünf Minuten, in denen man Wimperntusche, Concealer oder Lippenstift aufträgt: Wenn die Finger übers Gesicht gleiten, ohne dass man nachdenken muss, fast wie Meditation. "Das ist der Moment, in dem Make-up zur Selbstfürsorge wird", sagt Whitefield Madrano. Psychologisch betrachtet profitierten wir vom Schminken, weil wir uns selbst berühren, das habe eine beruhigende Wirkung. Eine Studie in Frankreich mit 140 Frauen zeigte sogar, dass Make-up wie ein Schutzschild wirken kann: Frauen, die geschminkt waren, zeigten unter Druck weniger Stress-Symptome als ungeschminkte.
These 3: Mit Make-up zeigst du, wer du bist
Das "Journal of Cosmetic Science" befragte 2008 siebzig Frauen, warum sie Make-up tragen. Die einen nutzten es hauptsächlich zum Abdecken von Makeln, die anderen verstanden es als Mittel, um sich anderen mehr zu zeigen und ihr Aussehen zu unterstreichen. Die Frauen, die Make-up als Betonung verstanden, hatten ein höheres Selbstwertgefühl, als die, die es nur zum Kaschieren benutzten. Die Befragung zeigte auch, dass gerade Frauen, die ihr Make-up oft variieren, das nicht tun, um ihr Selbstbild zu kontrollieren, sondern weil sie ein bestimmtes Gefühl zum Ausdruck bringen wollen. Wenn man Make-up so versteht, könne es zu einem kraftvollen Tool werden, weil wir damit selbst bestimmen, wie wir gesehen werden wollen, glaubt Whitefield Madrano.
These 4: Auch Feministinnen tragen gern dick auf
Unsere Gesellschaft hat so viel Zeit damit verbracht, Weiblichkeit mit schlechten Eigenschaften zu assoziieren ("Haha, du wirfst wie ein Mädchen!"), dass es logisch erscheint, dass etwas typisch Weibliches wie sich Schminken und Verschönern erst mal in einem negativen Licht erscheint. "Aber heißt das nicht gleichzeitig, dass wir Weiblichkeit immer noch mit Schwäche gleichsetzen?", fragt Whitefield Madrano. Und schlägt als Feministin vor, Make-up auch als "Besitz und Ausdruck von Weiblichkeit und Stärke" zu verstehen. Schon 1985 fand der Psychologe Thomas F. Cash in einer Untersuchung heraus, dass gerade Frauen, die viel Kosmetik benutzen, eher pro Feminismus sind und auch danach leben.
These 5: Komplimente bringen uns Frauen zusammen
Nichts bricht das Eis zwischen zwei Frauen so leicht wie ein Kompliment. Wer hat nicht schon mal einen Satz wie: "Tolle Bluse!" als Einstieg zu einem Gespräch genutzt. Linguisten der Language Society haben herausgefunden, dass Frauen sich am häufigsten Komplimente zu ihrem Aussehen machen. Kreisen wir aber deshalb nur um unsere Optik? Nein, sagen die Wissenschaftler, Frauen verstehen das Kompliment als indirekte Einladung zur Kommunikation. "Es ist wie ein Geheimcode, der ausdrückt: Ich interessiere mich für dich, ich möchte dich näher kennenlernen", schreibt Whitefield Madrano. Das Kompliment selbst sei nur der Türöffner und führe in 90 Prozent der Fälle zu einem Gespräch. Bei Mann-zu-Frau-Komplimenten funktioniert das übrigens nicht, stellte der Linguist Robert K. Herbert fest: Hier reagierten die Frauen zu 66 Prozent mit einem einfachen "Danke".
These 6: Beautytalk stärkt die Solidarität
Kosmetiktipps auszutauschen ist ein Vertrauensbeweis, so Autumn Whitefield Madrano. Etwa wenn einem eine Freundin ein Lippenstiftfarbe empfiehlt, von der sie glaubt, sie könne einem gut stehen. Oder fragt, welches Shampoo man benutzt.
Natürlich kann man argumentieren, dies ist der Beweis für die Ungleichheit der Geschlechter: Nur Frauen müssen ständig über ihr Äußeres reden. Die meisten Frauen, die Whitefield Madrano interviewte, bewerteten das allerdings völlig anders: Sie sehen Beautytalk als Möglichkeit, sich mit einer anderen Frau zu verbinden und zu befreunden.
Manche Frauen tragen kein Make-up, weil es sie einfach nicht interessiert, andere entscheiden sich dagegen, weil sie sich männlichen Schönheitserwartungen nicht unterwerfen wollen. Aber es gab auch Frauen, die Autumn Whitefield Madrano erzählten, dass sie die Aufmerksamkeit scheuen, die mit dem Tragen von Lippenstift und Wimperntusche einhergeht. Und da wird es tricky, denn hier spricht die fiese leise Stimme, die sagt: "Wer bist du, dass du glaubst, dich in den Vordergrund stellen zu dürfen?" Es ist das Nette-Mädchen-Syndrom. Etwas Make-up wird diese Frauen zwar nicht gleich zur starken Wonder Woman machen, aber wenn sie weiterhin in ihrer ungeschminkten Komfortzone bleiben, halten sie Händchen mit dem Monster, das sagt: Du bist es nicht wert!