Als Restaurantkritikerin trank Eva Biringer häufig aus beruflichen Gründen. Irgendwann stand die Flasche Wein dann aber auch neben ihrem Bett. Wie es ihr gelang, sich vom Alkohol zu befreien.
Jung, emanzipiert, erfolgreich im Job – und ein Alkoholproblem: Ausgerechnet bei Frauen, die alles im Griff zu haben scheinen, steigt seit Jahren der Alkoholkonsum. So wie bei Eva Biringer, Anfang 30, Food-Journalistin und Autorin. Sie hat ein schmerzhaft ehrliches Buch ("Unabhängig - Vom Trinken und Loslassen", erschienen bei Harper Collins) über die Geschichte ihrer Abhängigkeit geschrieben, das nie belehrt, aber doch zu denken gibt: Wieso ist Alkohol in unserer Gesellschaft omnipräsent? Wieso gilt es als normal, beim Junggesellinnenabschied komplett im Sekt-Rausch zu eskalieren? Und wieso darf auf allen medialen Kanälen pausenlos Werbung für Alkohol gezeigt werden?
Im Interview mit EMOTION spricht Eva darüber, wie sie sich vom Alkohol befreien konnte, wann man den eigenen Konsum genauer unter die Lupe nehmen sollte – und warum ausgerechnet junge Frauen oft nicht wahrhaben wollen, dass sie zu viel trinken.
EMOTION: Eva, wann hast du gemerkt, dass dein Verhältnis zu Alkohol aus den Fugen geraten ist?
Eva Biringer: Ich hatte schon immer ein Bewusstsein dafür, dass es eigentlich zu viel ist. Schon als Teenie habe ich gesehen, dass andere nach der zweiten Runde Schnaps aufhören; ich nahm die fünfte halt auch noch mit. Mit Anfang 20, in der Uni, fragte ich den Hochschulpsychologen, ob es normal sei, dass ich jeden Tag zwei Gläser Wein trinke – die Regelmäßigkeit des Trinkens habe ich damals schon als Problem erahnt. Ich wusste, dass etwas nicht stimmt, was eher untypisch ist für eine Sucht, bei der ja oft verdrängt und verleugnet wird. Dennoch hat es dann noch mal zehn Jahre gebraucht, bis ich den Schritt gegangen bin und aufgehört habe mit dem Trinken. Von der Selbsterkenntnis bis zur Abstinenz ist es ein langer Weg. Letztlich war es die Summe der Momente über die Jahre hinweg – schon wieder ein verlorenes Portemonnaie, schon wieder eine Nacht ohne Erinnerung –, die bei mir final zu der Einsicht geführt haben: Es ist genug. Es muss sich was ändern.
Wie ging es nach dieser Einsicht weiter – welche Schritte bist du gegangen, wie bist du der Abhängigkeit entgegengetreten?
Ich war zwar nicht in stationärer Behandlung, alle anderen verfügbaren Hilfsangebote habe ich mehr oder weniger ausprobiert. Von den Anonymen Alkoholikern bis zu diversen Beratungsstellen. Zudem war ich schon länger in psychologischer Behandlung, auch da war Alkohol mal mehr, mal weniger Thema. Ich habe aber auch einfach wahnsinnig viel gelesen, vor allem autobiografische Bücher von Menschen, die mal in einer ähnlichen Situation waren – Daniel Schreiber oder Natalie Stüben etwa. Das Gefühl, nicht allein zu sein, das hat mir sehr geholfen.
Inwiefern?
Wir müssen mal wegkommen von der Vorstellung, dass Alkoholismus nur die obdachlose Frau betrifft. Oder den Typen im Schichtdienst, der morgens mit zwei Korn startet. Nein: Alkoholismus hat so viele Gesichter, und auch Menschen, bei denen man kein Problem vermuten würde, weil sie etwa ihren Beruf noch auf die Reihe kriegen, können ein Suchtproblem haben. Je mehr unterschiedliche Geschichten man sich anschaut, desto besser kann man seine eigene Geschichte akzeptieren. So geht es mir zumindest.
Du schreibst, dass du dir auf dem Weg zur Abstinenz Alkohol nicht verboten hast – sondern dich aktiv entschieden hast, dass du nicht mehr trinken willst. Deine Devise ist "ich will nicht mehr" statt "ich darf nicht mehr". Wie kam das?
Wie man die Abstinenz angeht, ist sehr individuell und hängt von der Sucht und vom Krankheitsbild ab, ob jemand zum Beispiel körperlich abhängig ist. Meine Abhängigkeit ist eher aus Gewohnheit entstanden, daher kam ich mit dem Gedanken, einer Krankheit ausgeliefert zu sein, nicht so gut klar. Mir hat eher folgende Überlegung geholfen: Ich habe mich irgendwann mal dafür entschieden, Alkohol zu trinken, dann kann ich mich jetzt auch dazu entschließen, es nicht mehr zu tun. Ich war mal abhängig, aber jetzt bin ich es nicht mehr. Das hat in mir ein unwahrscheinliches Gefühl von Freiheit ausgelöst.
Du lebst jetzt seit etwa zweieinhalb Jahren abstinent. Wie geht es dir jetzt?
Supergut. Das nüchterne Leben betrachte ich als Geschenk. Ich will nicht mehr zurück in das Leben, in dem ich getrunken habe. Ich bin fit, klar im Kopf, die Launenhaftigkeit, dich mich durch den Alkohol lange begleitet hat, ist weg.
Hast du nie Angst vor einem "Rückfall"?
Nein. Man soll nie "nie" sagen, Alkoholiker-Hochmut geht sowieso gar nicht. Aber jetzt gerade kann ich sagen, dass ich einfach wirklich nicht mehr trinken will. Kürzlich habe ich in Berlin eine Sauce probiert, in der Jägermeister verarbeitet war. Den Alkohol darin habe ich ein bisschen gespürt, und ich wusste direkt: Alkohol im Essen geht für nicht mehr.
Nun bist du Food-Kritikerin von Beruf, das heißt, du gehst beruflich essen und schreibst darüber. Es fällt vielen Menschen eh schon schwer, zu sagen: "Ich trinke nicht". Wie gehst du damit um, immer wieder auch im beruflichen Kontext sagen zu müssen, dass du keinen Alkohol trinkst?
Es ist natürlich ein Thema, wenn ich etwa keinen Wein zum Essen trinke, aber das ist meistens sehr oft mit ernsthaftem Interesse verbunden: Ah ja, was trinkst du stattdessen? Inzwischen gibt es ohnehin so viele Leute, die im Restaurant aus verschiedensten Gründen nicht trinken wollen, und denen muss die Gastronomie auch etwas bieten. Als Food-Kritikerin ist es meine Aufgabe geworden, die alkoholfreien Alternativen zu testen und darüber zu schreiben. Mich persönlich stört es also nicht, über meine Abstinenz zu sprechen. Generell finde ich aber absolut inakzeptabel, Menschen nach Gründen zu fragen, warum sie nicht trinken wollen. Das geht einfach niemanden etwas an. Dass wir immer eine Erklärung dafür fordern, warum jemand keinen Alkohol trinkt, ist eigentlich skandalös – und zeigt, in welcher Gesellschaft wir leben: Es ist total normal, dauernd zu trinken und oft auch "über den Durst".
Und das betrifft auch jüngere Frauen, wie du schreibst – in dieser Altersgruppe ist der Alkoholkonsum in den vergangenen Jahren nachweislich gestiegen. Wieso ist das so?
Trinken ist mit einem feministischen, emanzipierten Lifestyle super vereinbar. Man trifft sich zur Happy Hour oder zum Bloody-Mary-Brunch, und weil man guten Wein oder schöne Cocktails trinkt, merken viele Frauen nicht, dass das eigene Trinkverhalten womöglich nicht mehr ganz den Empfehlungen der WHO entspricht; danach wird es riskant, wenn eine Frau mehr als 12 Gramm Alkohol pro Tag zu sich nimmt, also mehr als ein Glas Sekt. Deshalb fällt es gerade Frauen auch so schwer, sich ein Alkoholproblem einzugestehen; es ist vom Feierabendwein zum Runterkommen bis zum Prosecco am Morgen, weil man ohne gar nicht mehr klarkommt, ein weiter, aber in großen Teilen gesellschaftlich akzeptierter Weg.
Was sich häufig medial spiegelt: In vielen Filmen und Serien wird ja getrunken ohne Ende. Eine typische Szene ist etwa, dass sich die Protagonist:innen nach einem stressigen Tag erst mal ein Glas Wein eingießen – ganz normal. Wie geht es dir damit, wenn du sowas siehst?
Medien haben einen riesigen, wenn auch manchmal zumindest unbewussten Einfluss auf die Konsument:innen. In der Hinsicht könnte man viel ändern, wenn man beim Drehbuchschreiben mal mitdenkt: Wieso trinkt die erschöpfte Serien-Frau auf dem Sofa keinen alkoholfreien Kombucha? Ein anderes Thema ist Social Media. Muss es sein, dass Kendall Jenner auf TikTok betrunkene Videos dreht? Das alles ist aber schwierig zu regulieren, mir ist daher ein anderer Punkt besonders wichtig: Werbung für Alkohol muss eingeschränkt werden. Es ist erwiesen, welchen Einfluss Werbung gerade auf junge Menschen hat; vorm "Bachelor" muss keine Werbung für Schnaps zu sehen sein.
Welche Anhaltspunkte sind für dich entscheidend, den eigenen Alkoholkonsum kritisch zu hinterfragen?
Wenn Alkohol eine zu große Rolle im Leben spielt und man beginnt, den Alltag ums Trinken herum zu planen. Man kann sich bestimmte Momente nicht ohne Alkohol vorstellen, man verliert die Kontrolle; damit meine ich nicht nur den totalen Absturz, sondern auch, sich vorzunehmen, nicht zu trinken, und es dann doch zu tun – und wenn es "nur" ein Glas Wein ist. Ein schlechtes Zeichen ist es auch, wenn die Toleranz steigt, wenn man also immer mehr trinken muss, um betrunken zu werden. Und dann ist entscheidend, wie leicht man auf Alkohol verzichten kann; deshalb finde ich Aktionen wie den "Dry January" super – weil es akzeptiert ist, in der Zeit nichts zu trinken, und man so leichter beobachten kann, ob man einen Monat "ohne" problemlos durchhält. Wenn das schwer fällt, dann sollte man mal genauer hinschauen.
Neugierig auf einen "sober lifestyle" geworden? Hier kommen Evas Tipps für alkoholfreie Drinks:
"Muri" aus Kopenhagen finde ich toll – ein Drink auf Kombucha-Basis, gibt’s in drei Geschmacksrichtungen, die alle super schmecken.
Empfehlen kann ich auch die "Priseccos" auf Obstbasis von Jörg Geiger aus Schwaben.
Außerdem bin ich Fan von alkoholfreiem Bier und probiere mich gern durch neue Sorten – zum Beispiel Yes!, BRLO Naked, Wolfscraft, Riegele IPA Liberis.
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