Literatur: Können nur Männer, hieß es lange. Und Frauen, na, die sind fürs Triviale zuständig. Wie bitte?! Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert hat untersucht, was da (noch!) schiefläuft.
Sexismus im Literaturbetrieb
Die Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert zeigt in ihrem Buch Frauen Literatur (erhältlich ab 09. September) die frauenfeindlichen Strukturen im Literaturbetrieb auf. Und sagt: Wir verpassen das Beste, wenn wir in unseren Bücherregalen nicht endlich eine Frauenquote einführen. Kiepenheuer & Witsch, 18,00 Euro.
EMOTION: Schreiben Frauen anders?
Nicole Seifert: Stilistisch schreiben Frauen nicht anders. Aber die Inhalte unterscheiden sich, weil sie so lange andere Lebenswelten hatten und zum Teil noch haben, auch weil sie das Meiste der Sorgearbeit leisten. Frauen trauen sich jetzt vermehrt über dieses Thema zu schreiben, das bisher als „nicht literaturfähig“galt. In der Schule werden noch immer fast nur Männer gelesen.
Was bedeutet das für unsere Weltwahrnehmung?
Es führt dazu, dass Frauen lernen, sich in Männer hineinzuversetzen, und dass Männer es gewohnt sind, dass es um sie geht. Beim Bachmann-Wettbewerb haben Kritiker schon Texte von Frauen verrissen, weil ja gar keine männliche Perspektive darin vorkomme. Frauen lernen bereits in der Schule, dass es normal ist, nicht vorzukommen, zumindest nicht als Hauptfigur. Und wir lernen dort alle bis heute: Was literarisch wertvoll ist, stammt von Männern.
Das setzt sich in den Feuilletons fort. Bücher von Frauen werden weniger besprochen und härter verrissen. Wieso? Frauen werden auf andere Art verrissen, es ist persönlicher und schärfer bis hin zu: Diese Frau kann nicht schreiben, nicht denken. Ich kann mir das nur mit der Misogynie erklären, die tief in unserer Kultur steckt. Mit diesem Bedürfnis, Frauen auf ihre Plätze zu verweisen und zum Schweigen zu bringen, vor allem dann, wenn sie sich anmaßen, etwas Kritisches zu sagen. Aber das Bewusstsein, dass es so nicht geht, wächst – auch bei vielen Männern.
Frauen, die schreiben – da stehen wir eh drauf. Diese vier finden wir nach wie vor grandios: Shida Bazyar („Drei Kameradinnen“), Bianca Nawrath („Iss das jetzt, wenn du mich liebst“), Lisa Krusche („Unsere anarchistischen Herzen“) und Daniela Krien („Der Brand“)
Frauen holen gerade Themen wie Gewalterfahrungen, Schmerz, Missbrauch aus der Tabu-Ecke und zeigen: Das ist ein strukturelles Problem. Öffnet das dem Vorwurf die Tür, wenn nicht trivial, dann aber offenbar Opfer zu sein?
Diese Vorwürfe wird es immer geben, also sind sie egal. Jede darf schreiben, was sie will – und was sie schreiben muss. Es gab eine Avantgarde, wie die Autorin Marlene Streeruwitz, die darüber schon in den 1970ern geschrieben hat und dafür angegriffen wurde. Autorinnen wie Isabelle Lehn sagen heute, es gehe darum, wahrhaftig zu sein und diese Themen aufzugreifen, damit auch der Letzte versteht: Alles ist literaturfähig. Und jetzt sind diese Themen dran.
Männer haben schon lange die Freiheit zu schreiben. Können sie dadurch Themen freier wählen? Oder wird bei Männern einfach alles als kühn gedeutet, etwa bei Karl Ove Knausgård?
Bei Knausgård geht es ja auch um Haushalt und Kinder und wie es einem damit geht. Das Neue war, dass ein Mann sich traute, darüber zu schreiben. Wenn Frauen über männlich konnotierte Themen schreiben, etwa über Krieg, lässt man ihnen das weniger durchgehen. Es wird ihnen nicht als Teil ihrer weiblichen Erfahrungswelt abgenommen.
Schriftsteller*innen haben unsere Geschlechternormen ja auch verinnerlicht. Bleiben sie deshalb eher bei Themen, die man ihnen zuschreibt?
Dass sich eine Autorin nicht traut, gibt es sicherlich. Aber es gibt zunehmend auch die selbstbewusste Haltung: Das ist meine Welt, darüber schreib ich jetzt! Da geht es etwa darum zu erzählen, was eigentlich mit Unterdrückung gemeint ist, warum Frauen überall in der Welt weniger Möglichkeiten hatten oder haben. Das ist ein Versuch, die Welt zu deuten – und das ist revolutionär.
Die Verlagsprogramme sind dieses Jahr so divers wie noch nie. Ein Trend? Oder echte Veränderung?
Es gibt so viele neue Stimmen, die bisher marginalisiert waren. Das ist so eine Horizonterweiterung. Ich glaube, dahinter können wir nicht mehr zurück.
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