Stunden vergehen wie Minuten, man ist ganz in sich selbst und seiner Tätigkeit versunken. Hinterher bleibt das Gefühl von Glück und Erfolg. Diplom-Psychologe Nico Rose weiß, welche Bedingungen dafür nötig sind und was man selbst tun kann.
EMOTION.DE: Herr Rose, Ihr Fachgebiet ist die Positive Psychologie. Wie würden Sie einem Laien dieses Forschungsfeld in drei Sätzen beschreiben?
Dr. Nico Rose: In drei Sätzen ist das schwierig, aber ich würde sagen thematisch sind das sehr viele Dinge, die man ansonsten im Selbsthilferegal der Buchhandlung findet. Zum Beispiel: "Wie werde ich ein glücklicher Mensch?", "Wie werde ich erfolgreich?" oder "Wie finde ich Gewinn im Leben?".
Der Unterschied zur klassischen Selbsthilfeliteratur besteht darin, dass innerhalb der Positiven Psychologie mit harten wissenschaftlichen Methoden geforscht wird. Also die Themen sind nicht neu, aber die Art und Weise der Erforschung. Die gibt es in der Form erst seit etwa fünfzehn Jahren.
Im Rahmen der Positiven Psychologie wird auch immer wieder vom Flow-Erleben gesprochen. Was ist das genau?
Das Flow-Erleben ist ein besonderer Zustand des menschlichen Erlebens, den man häufig auf der Arbeit erlebt und der vor allem durch eine Art Selbstvergessenheit gekennzeichnet ist. Das heißt, ich habe mehrere Stunden an etwas gearbeitet und habe das Gefühl: "Ich habe in der Zeit ganz viel geschafft", habe ein bisschen die Zeit und vielleicht sogar die Umgebung um mich herum vergessen. Man nimmt eigentlich erst im Nachhinein an den positiven Auswirkungen wahr, dass man im Flow war.
Das heißt, es ist eher ein unbewusster Zustand?
Ich würde nicht sagen unbewusst, aber ein selbstvergessener Zustand. Man fokussiert nicht mehr so sehr auf sich selbst und auf die Tätigkeit. Also man wird – das klingt jetzt vielleicht ein bisschen esoterisch – quasi ein Stück weit eins mit der Aufgabe und vergisst darüber sich selbst.
Man nimmt erst im Nachhinein an den positiven Auswirkungen wahr, dass man im Flow war.
Nico Rose, Diplom-PsychologeTweet
Sie haben zu Beginn gesagt, dass Flow vor allem bei der Arbeit entsteht. In der Freizeit weniger?
Das kommt ein bisschen darauf an, was ich in der Freizeit mache. Es gibt ein paar wichtige Vorbedingungen, ohne die Flow mit großer Wahrscheinlichkeit nicht entsteht.
Welche sind das?
Die erste Vorbedingung ist, dass es ein klares Ziel gibt, auf das man hinarbeitet. Wenn man sehr, sehr viele Dinge gleichzeitig bearbeiten muss – dieses berühmte Multitasking – ist das ein klassischer Flow-Killer.
Es braucht außerdem regelmäßiges Feedback, also eine Art Fortschrittskontrolle. Ich muss merken, dass ich mich auf das Ziel zu bewege.
Was ist in dieser Hinsicht in der Freizeit anders als bei der Arbeit?
Die Sache ist einfach die: So wie die meisten Menschen ihre Freizeit verbringen, wird Flow eher schwer ermöglicht. Sich einfach vor den Fernseher zu setzen – das ist vielleicht nett, aber keine Bedingung, unter der Flow entsteht.
Was Flow erzeugt, wenn man es in der Freizeit macht, ist unter anderem ein Instrument spielen, zum Beispiel eine Mozart-Sonate auf dem Klavier. Da hat man ein klares Ziel vor Augen und kriegt auch quasi Feedback. Das kann auch beim Sport passieren. Da gibt es in der Regel auch ein klares Ziel.
Welche Vorbedingungen braucht es außerdem für Flow?
Was noch ganz wichtig ist: Man spricht in der Forschung vom sogenannten Flow-Kanal. Flow kann nur bestehen, wenn die eigenen Fähigkeiten und die Anforderungen einer Aufgabe ungefähr im Gleichklang sind.
Ich bleibe jetzt mal eben bei der Mozart-Sonate: Wenn ich mir ein Stück aussuche, das mir eigentlich eine Spur zu einfach ist, das ich so aus dem Effeff herunterspielen kann, entsteht kein Flow. Das finde ich in der Regel langweilig. Wenn ich mir aber ein Stück aussuche, das viel zu schwer ist, dann gehe ich eher in so eine Art Angstbereich. Da entsteht auch kein Flow. Nur, wenn ich mir eine Aufgabe aussuche, bei der ich ziemlich genau an meiner Leistungsgrenze bin, entsteht das Flow-Gefühl. Das ist auch eine ganz wichtige Vorbedingung. Ansonsten sollte man jederzeit das Gefühl haben, Herr der Lage zu sein. Wenn das nicht der Fall ist, geht man eher in diesen Angstkorridor und fällt wieder aus dem Flow-Gefühl heraus.
Lässt sich dieses Flow-Erleben bewusst hervorrufen oder künstlich erzeugen?
Ja, da gibt es verschiedene Dinge: Einerseits Dinge, die ich selbst tun kann und natürlich, die Arbeitsumgebung betrachtend, Dinge, die der oder die Vorgesetzte tun kann. Solche leiten sich wiederum relativ direkt aus den Punkten ab, die ich vorher beschrieben habe.
Das Wichtigste ist tatsächlich: Es muss ein klares Ziel geben, auf das man hinarbeitet, eine bestimmte Aufgabe, ein Projekt.
Wenn man sehr, sehr viele Dinge gleichzeitig bearbeiten muss – dieses berühmte Multitasking – ist das ein klassischer Flow-Killer.
Nico Rose, Diplom-PsychologeTweet
Welche Rahmenbedingungen müssen dabei gegeben sein?
Ich muss die Gelegenheit haben, mich vollkommen auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Das heißt auch, das Zimmer abzuschließen oder zumindest dafür zu sorgen, dass keiner hereinkommt. Handy und E-Mail-Alarm ausstellen, eben eine möglichst störungsfreie Umgebung schaffen. Je nachdem, in welcher Konstellation man arbeitet, hat man diese Faktoren selbst in der Hand oder eben auch nicht. Für viele Angestellte liegt es eigentlich am Chef oder an der Chefin, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass der Mitarbeiter Flow erleben kann. Das ist die eine Seite, also die externe Umgebung.
Die andere ist, dass ich mir Aufgaben heraussuche, an der Schwelle zur eigenen Leistungsgrenze. Das hat man zum Teil in der Hand, zum Teil bekommt man im Unternehmen natürlich auch Aufgaben zugeteilt.
In der Regel entsteht aber Flow, wenn ich die Aufgabe auch intrinsisch motivierend empfinde. Das hat man dann – da beißt sich die Katze ein bisschen in den Schwanz – wenn man eine bestimmte Sache einfach gerne tut.
Inwiefern ist es denn für den Vorgesetzten überhaupt von Interesse, dass seine Mitarbeiter im Flow arbeiten?
Aus meiner Sicht sollten Vorgesetzte ein hohes Interesse daran haben und zwar aus ziemlich genau zwei Gründen. Der Erste ist: Wenn der Mitarbeiter im Flow ist, kann man davon ausgehen, dass er gerade eine fast bestmögliche Leistung abliefert. Ein absoluter Vorteil und sicher auch Ziel eines Chefs.
Der andere ist, dass ich als Vorgesetzter, zumindest definiere ich meine Rolle so, ein gewisses Interesse daran habe, dass meine Mitarbeiter glücklich und zufrieden sind. Einerseits aus sich selbst heraus, andererseits weil Glück letztlich ja auch wieder Leistung fördert. Idealerweise hat man also eine Kombination aus optimaler Leistung und guter Stimmung bei den Mitarbeitern.
Der Zustand des Flows wirkt sich somit immer auch auf Produktivität und Kreativität eines Menschen aus?
Ich würde sagen, ja. Es ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich, weil in Bezug auf die anstehende Aufgabe, jeder ein unterschiedliches Niveau hat. Aber im Flow zu sein heißt: Ich leiste so viel, wie es mir gerade menschenmöglich ist.
Sind Menschen, die häufiger Dinge im Flow erleben, glücklicher als andere?
Ja, Menschen, die häufiger Flow erleben, sind wirklich insgesamt glücklicher. Plus: Dadurch, dass es diesen Flow-Kanal gibt, ist es auch ein Schlüssel zur Selbstentwicklung.
Nico Rose ist Diplom-Psychologe, hat in BWL promoviert und außerdem ein Masterstudium in angewandter Positiver Psychologie abgeschlossen. Er ist als Führungskraft im Personalbereich eines großen Medienunternehmens tätig, zusätzlich arbeitet er seit 2008 als Coach und Keynote-Speaker. 2013 erschien sein Buch "Lizenz zur Zufriedenheit". Er veröffentlichte etliche Fachartikel und bloggt auf www.mappalicious.com über Positive Psychologie.