Unsere Kolumnistin wundert sich über Menschen, die die Teppichfransen in eine Richtung kämmen und Fischstäbchen von sechs Seiten braten. Und über sich selbst, weil sie nur Leute mit seltsamen Macken ganz normal finden kann.
Normal ist langweilig. Deshalb liebe ich Geschichten über Menschen, die kleine Macken oder Zwänge haben. Der Investmentbanker, der sein Penthouse erst verlassen kann, wenn alle Teppichfasern in dieselbe Richtung zeigen. Oder der Frühpensionär, der ausrastet, wenn in seinem Portemonnaie der Fünfeuroschein nicht vor, sondern hinter dem Zehner liegt. Oder der Pianist Glenn Gould, der nur auf einem wackeligen Klavierstuhl spielen konnte. Wenn mein kleiner Bruder mich besucht, erlaube ich mir immer einen kleinen, fiesen Scherz: Ich rücke meine Bilder schief. Das macht ihn nämlich wahnsinnig, er muss sie alle wieder gerade rücken, noch in Hut und Mantel. Meine beste Freundin wäscht sich mindestens 456-mal am Tag die Hände, ohne ihr Desinfektionsspray in der Handtasche verlässt sie nicht das Haus.
Und ich? Meine Kinder nennen mich „Mackenmutti“, weil ich ausflippe, wenn sie auf einem Stück Käse einen Fingerabdruck hinterlassen. Und weil ich erst arbeiten kann, wenn die Wohnung aufgeräumt ist, weshalb ich in zugemüllten Jugendzimmern, in denen meine Kinder mittags noch schlafen wollen, lautstark Ordnung schaffe. Entspannt sieht anders aus, das weiß ich selber, aber ich kann nicht anders.
Genauso wenig wie meine 21-jährige Nichte, die jeden jungen Mann von der Bettkante schubst, der hässliche Schuhe trägt. Auf meinen Einwand: „Im Bett trägt er doch gar keine“, sagt sie nur: „Aber ich weiß doch, welche er sonst trägt.“ Sie hat recht, Macken hören nicht auf die Stimme der Vernunft, sie sitzen in der Seele wie eine Stielwarze, hartnäckig und dauerhaft. So beschreibt es jedenfalls eine befreundete Psychologin, die sich mackenmäßig auch deshalb so gut auskennt, weil sie selbst welche hat. Genauso wie David Beckham kann sie nicht einschlafen, wenn um sie herum nicht alles parallel liegt, Zettel auf dem Schreibtisch, Socken in der Schublade. Der Designer Samuel Treindl kennt diese Ordnungsmarotte und hat deshalb die Kollektion „tickreich“ entworfen, zum Beispiel die Stehlampe „Leuchtick“, bei der überflüssige Kabellänge eingerollt werden kann.
Eigentlich leben wir ganz gut mit unseren Macken, wir haben uns an sie gewöhnt wie an ein etwas zerrupftes, altes Haustier. Nicht schön, aber vertraut. Dachte ich jedenfalls. Und stand kürzlich in meinem Fitnessclub vor der ahnungslosen Frau, die sich erdreistet hatte, meinen Crosstrainer vollzuschwitzen. Ich benutze ihn jeden Morgen, weil er mir am besten gefällt.
„Machen Sie noch lange?“, zischte ich mit einer Stimme, die mir selbst peinlich war. „Ich hab gerade angefangen“, sagte sie freundlich. Sehr schlecht gelaunt nahm ich einen anderen Crosstrainer und schämte mich ein bisschen. Ein paar Tage später hörte ich zum Glück von einer Frau, die ihre Fischstäbchen immer auf allen sechs Seiten braten muss, weil sie sie sonst nicht essen kann. Und war beruhigt. Es hätte schlimmer kommen können.
Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine) und Frauen (ist ja eine). Ihr Lebensmotto: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn...