Teil eins unserer Interview-Serie zur Bundestagswahl: EMOTION Chefredakteurin Katarzyna Mol-Wolf im Gespräch mit Familienministerin Manuela Schwesig.
Am 6. März kam ich beim Roten Salon zum Internationalen Frauentag der SPD mit Familienministerin Manuela Schwesig ins Gespräch. Schnell war klar, ich möchte genauer wissen, was sie für Frauen tun will.
Katarzyna Mol-Wolf: Wann haben sie gewusst, dass sie in die Politik möchten?
Manuela Schwesig: Ich war 29, als ich in die SPD eingetreten bin. Es war erst mal ungewöhnlich. Auch in meiner Familie, die keinen SPD-Hintergrund hat, war Parteizugehörigkeit nach der Wende irgendwie verpönt. In meinem Freundeskreis gab es keinen einzigen, der politisch aktiv war. Mein Engagement war von dieser Warte betrachtet also durchaus exotisch. Aber ich wollte mich gern einbringen und engagieren. Für mich waren die SPD-Leute in Schwerin wichtig, die bemüht waren um junge Leute. Im Stadtparlament habe ich viel gelernt. Ich halte ein Leben in Freiheit und Demokratie nicht für selbstverständlich. Deshalb ist es auch gut, wenn sich jetzt wieder mehr junge Menschen für Politik interessieren und auch den politischen Parteien wieder zugewandter sind.
Welche drei Eigenschaften helfen Ihnen bei Ihrer Arbeit? Welche haben Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?
Naja, ein bisschen Ausdauer muss man schon haben. Das trifft aber auf uns alle zu, die wir Politik machen. Schnell aufgeben ist da nicht angebracht, eher Hartnäckigkeit und Ausdauer, wenn es darum geht Kompromisse auszuhandeln. Und eine gesunde Portion Humor braucht es auch, um diesen doch oft anstrengenden Alltag zu bewältigen. Geholfen hat mir übrigens auch immer meine Affinität zu Zahlen, die ich von meiner Mutter geerbt habe.
Was wollen Sie als Ministerin in dieser Legislaturperiode noch für uns Frauen ändern?
Wir haben bereits vieles erreicht in dieser Legislaturperiode: Wir haben die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert, mit mehr Kinderbetreuung und dem ElterngeldPlus. Für Familien, die ihre Angehörigen pflegen, haben wir das Pflegeunterstützungsgeld und die Familienpflegezeit eingeführt. Wir haben mehr Frauen in Führungspositionen durch das neue Quotengesetz – das ist eine Errungenschaft in dieser Wahlperiode. Wir schützen Frauen besser vor Gewalt und haben das Sexualstrafrecht verschärft. Und wir haben das Gesetz gleicher Lohn für gleiche Arbeit für Frauen und Männer. Das ist ein Meilenstein. Der bessere Mutterschutz kommt. Dann gibt es noch Gesetzesentwürfe, die ich schon seit langem vorgelegt habe und von denen ich noch erwarte, dass sie verabschiedet werden: die Aufwertung der Pflegeberufe, die Abschaffung des Schulgelds in der Altenpflege sowie der längere Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende.
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Was möchten Sie für Frauen nach der Bundestagswahl verändern? Und warum hat das in dieser Legislaturperiode noch nicht geklappt?
Beim Quotengesetz zum Beispiel haben wir ein Jahr nach Inkrafttreten eine positive Bilanz gezogen, was die Repräsentanz von Frauen in den Aufsichtsräten betrifft. In den Vorständen sieht es aber nicht so gut aus. Und da, wo sich Unternehmen selbst die Zielvorgaben setzen können, sagen tatsächlich welche: null. Die provozieren, dass wir uns in der nächsten Legislaturperiode dieses Gesetz noch mal vorknöpfen und sagen: Dann muss auch die harte Quote für diese Unternehmen gelten.
Ein zentrales Vorhaben von mir ist die Familienarbeitszeit. Mit der Union war das in dieser Wahlperiode nicht zu machen. Wir wollen berufstätige Frauen und Männer besser unterstützen, die mehr Zeit für ihre Kinder oder pflegebedürftige Angehörige benötigen. Das Elterngeld hilft bislang nur Familien mit unter zweijährigen Kindern. Danach gibt es keine weitere Unterstützung für Familien. Im Pflegebereich gibt es die zehntätige Auszeit mit einer finanziellen Leistung, aber auch das reicht nicht. Hier soll die Idee der Familienarbeitszeit ansetzen. Künftig soll es für pflegende Angehörige die Möglichkeit geben sich eine Auszeit zu nehmen und finanziell unterstützt zu werden.
Außerdem soll der Bund stärker in die Kita-Finanzierung einsteigen und damit die Kitas für alle Altersgruppen von null bis sechs Jahre gebührenfrei machen.
Die Armutsgefährdung bei berufstätigen Frauen in Deutschland lag im Jahr 2005 bei 5,6 Prozent, 2015 aber bei 10,5 Prozent und damit deutlich über dem europäischen Durchschnitt. Was läuft anderswo besser?
Erwerbstätigkeit ist der beste Schutz vor Armut. Allerdings muss die Erwerbstätigkeit auch in einem ausreichenden Umfang geleistet und auskömmlich bezahlt werden. Hier sind uns andere Länder voraus, da sind die Frauen mit mehr Stunden am Arbeitsmarkt aktiv und die Bezahlung zwischen Männern und Frauen ist deutlich gleicher als bei uns in Deutschland.
In nur zwei Ländern der EU arbeiten noch mehr Frauen als in Deutschland, warum sind sie trotz Arbeit armutsgefährdet?
Es ist erfreulich, dass die Erwerbstätigenquote von Frauen zumindest im Alter von 20 bis 64 Jahren auf 74 Prozent in 2015 deutlich angestiegen ist. Aber drei Viertel dieser erwerbstätigen Frauen arbeiten Teilzeit – mit zum Teil sehr geringen Stundenumfängen. So arbeiten rund drei Millionen Frauen als Haupterwerb in einem Minijob. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass der Stundenlohn bei Teilzeit und im Minijob geringer ist als bei höheren Stundenumfängen oder Vollzeit, wird schnell klar, warum die Armutsrisikoschwelle nicht überschritten wird.
Noch dramatischer sieht es bei Alleinerziehenden aus. Für diese Gruppe ist das Risiko unter die Armutsgrenze zu rutschen auf fast 25 Prozent gestiegen. Worauf ist das zurückzuführen?
Auch für Alleinerziehende ist Erwerbstätigkeit der beste Schutz vor Armut, aber rund ein Drittel von ihnen ist nicht erwerbstätig. Zudem sind viele Alleinerziehende in Berufen tätig, die nicht so gut entlohnt werden, dass es schließlich reicht, um über die Armutsschwelle zu kommen. Von der Ausweitung des Niedriglohnsektors sind auch viele Alleinerziehende betroffen. Auch für sie ist es gut, dass wir in Deutschland endlich den Mindestlohn eingeführt haben.
Warum hat sich die Situation von alleinerziehenden Frauen in Deutschland verschlechtert?
Die Situation von Alleinerziehenden ist ohne Zweifel nicht so gut wie die von Paarfamilien, aber eine Verschlechterung ist keineswegs eindeutig zu erkennen. So ist der Anteil der Alleinerziehenden im SGB II, dem Sozialgesetzbuch, das die Grundsicherung für Arbeitsuchende regelt, in den letzten Jahren leicht zurückgegangen, und das Armutsrisiko ist je nach Datengrundlage mal gestiegen und mal gefallen. Mit dem Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, der um fast 50 Prozent auf 1.908 Euro erhöht und zusätzlich mit 240 Euro nach der Kinderzahl gestaffelt wurde, haben wir hier deutliche Verbesserungen geschaffen. Es gab eine deutliche Erhöhung des Wohngelds, bei der zudem die Freibeträge für Alleinerziehende angehoben wurden. Und wir haben den Mindestlohn eingeführt. Bis diese Verbesserungen auch in den Statistiken erkennbar werden, dauert es sicher noch etwas, aber den Alleinziehenden helfen sie schon heute.
Wie können wir Alleinerziehende besser schützen?
Von den Alleinerziehenden erhalten nur etwa 25 Prozent ausreichende Unterhaltszahlungen vom anderen Elternteil. Alle anderen brauchen eine wirksame finanzielle Unterstützung und die nötige Hilfe, den Unterhalt für das Kind gegen den anderen Elternteil durchzusetzen. Deshalb soll der staatliche Vorschuss jetzt für Kinder bis zum Alter von 18 Jahren ausgeweitet werden. Bislang zahlt der Staat höchstens sechs Jahre lang und für Elternteile mit Kindern ab zwölf Jahren gar nicht. Kinder wachsen, kommen in die Schule. Ihr Bedarf steigt: Neben neuen Jacken und Schuhen muss auch das Geld für den Schulausflug aufgebracht werden. Da fehlt es den Alleinerziehenden oft an Geld, wenn der frühere Partner keinen Unterhalt zahlt. Zudem ist gerade für Alleinerziehende ist ein bedarfsgerechtes Kinderbetreuungsangebot ganz wichtig.
Mit dem Bundesprogramm "KitaPlus" erweitern wir die Öffnungszeiten von Kitas, Kindertagespflege und Horten so, dass sie zum Leben der Familien passen. Es geht nicht darum, dass Kinder länger oder gar rund um die Uhr betreut werden, sondern um Betreuung zu anderen Zeiten, früh morgens, spät abends, am Wochenende oder an Feiertagen und ggf. auch über Nacht.
Welches Familienbild prägt Ihre Politik?
Familien sind bunt und vielfältig. Ich respektiere die Familien in ihrer Vielfalt, die vielen Paare – ob mit oder ohne Trauschein – mit Kindern, die vielen Alleinerziehenden, vor allem Frauen, aber auch Männer, aber auch die Patchwork-Familien und die Regenbogenfamilien. Ich möchte keiner Familie etwas vorschreiben. Aber ich finde es wichtig, dass sich Frauen und Männer entscheiden können welchen Weg sie gehen. Wir wissen aus zahlreichen Umfragen, dass immer mehr junge Frauen und Männer sich die Aufgaben in Beruf und Familie partnerschaftlich aufteilen wollen. Darin möchte ich sie gern unterstützen. Gerade für Frauen ist es wichtig, dass sie auch wirtschaftlich abgesichert sind und auf eigenen Füßen stehen. Für Väter spielt das Zusammensein mit der Familie und den Kindern eine zunehmend größere Rolle. Sie wollen einfach mehr Zeit zuhause.
Mit welchen Themen haben moderne Frauen heute am meisten zu kämpfen? Als Mutter. Aber auch als kinderlose Frau.
Die Themen von heute sind oft leider immer noch die Themen von gestern. Mütter, die berufstätig sind, haben oft mit dem Bild der Rabenmutter zu kämpfen, Mütter die zuhause bleiben, werden zum Heimchen am Herd degradiert. Das alles führt uns aber nicht weiter in der Frage der Gleichberechtigung und in der Frage nach einer gelungenen Vereinbarkeit. Auch Frauen ohne Kinder stoßen an die gläserne Decke. Die kinderunfreundliche Arbeitswelt ist also nicht das einzige Problem. Trotzdem sehe ich die mangelnde Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie als das größte Hemmnis.
Sie sind auch stellvertretende SPD-Vorsitzende. Was unterscheidet die Perspektive Ihrer Partei auf Frauen von dem anderer Parteien?
Familien- und Frauenpolitik sind einer der großen Unterschiede zwischen SPD und Union. CDU und CSU hängen immer noch dem alleinigen Gesellschaftsbild von der Ehe mit Kindern nach: Er arbeitet, sie bleibt zu Hause. Gegen dieses Familienmodell ist auch gar nichts zu sagen. Nur ist die Gesellschaft heute viel bunter. Und mein Job als Familienpolitikerin ist es, den Leuten zu sagen: Wann immer sich jemand für ein Kind entscheidet, ist das großartig. Politik darf den Familien nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben. Beim Thema Gleichberechtigung müssen wir die Männer mitdenken, wenn wir erfolgreich sein wollen. Nur wenn die Männer die Frauen entlasten können, können die Frauen auch höher gehen. Unser Ziel kann ja nicht sein, dass Frauen in Führungspositionen ankommen, aber trotzdem die ganze Verantwortung für die Kinder, für die pflegebedürftigen Angehörigen und vielleicht noch für ein Ehrenamt übernehmen. Deshalb werbe ich für eine Familienarbeitszeit. Fest steht jedenfalls, dass die SPD alle Verbesserungen für Frauen und Familien von der Entlastung für Alleinerziehende bis zur Quote hart gegen die Union durchsetzen musste.
Manuela Schwesig kam am 23. Mai 1974 in Frankfurt an der oder zur Welt. Die stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD ist Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Schwesig ist Diplomfinanzwirtin (fh) und mit dem Steuerberater Stefan Schwesig verheiratet. Die beiden leben in Schwerin und haben einen Sohn und eine Tochter.
Interview-Serie zur Bundestagswahl
Ab dem 7. Juni auf EMOTION.DE: Chefredakteurin Katarzyna Mol-Wolf trifft Franziska Brantner, Sprecherin für Kinder- und Familienpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Zum Interview
Was frauen fordern
Wir wollen, dass am Morgen der Bundestagswahl eines sicher ist: Frauen sind gehört worden! Unsere Leben, unsere Wünsche, unsere Ideen sind nicht "Frauen, Familie und Gedöns", wie Gerhard Schröder einmal sagte, sondern entscheidend für die Zukunft dieses Landes. Deshalb starten wir die Aktion: #wasfrauenfordern.
In einer großen, bundesweiten, altersübergreifenden Umfrage werden wir nach Ihren Forderungen fragen. Konkret und direkt. Denn das ist der EMOTION-Weg: nichts vorsetzen, sondern hinhören. Klicken sie auf wasfrauenfordern.de und werden sie Teil der größten Aktion, die EMOTION je umgesetzt hat. Ihre Meinung ist uns wichtig! Wir sind viele! Begleitet wird unsere Aktion von einer Interviewreihe mit Politikerinnen.
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