Wie wär's mal mit einem Dreier oder Fesselspielchen? Keine Angst, niemand muss das machen. Aber wer Sexfantasien zulässt, kann seinen Lusthorizont enorm erweitern.
Sexfantasien – total geheim oder offen aussprechen?
Als ich neulich mit meiner Freundin Steffi in einer Bar saß, verriet sie mir, wie sehr sie darauf stehe, wenn ihr Mann Sex mit einer anderen Frau habe. "Was?", fragte ich und spuckte fast meinen Gin über die Theke. "Natürlich nicht wirklich, sondern nur in unserer Fantasie!", sagte sie und lachte.
Unausgesprochene Fantasien führen zu stillen Lust-Reserven
Im letzten halben Jahr haben die beiden ein neues Ritual entwickelt, bei dem Steffis Mann Regie führt: Während sie sich berühren, erzählt er, wo er der anderen Frau begegnet ist, wie sie aussieht und wie er sie nimmt. "Mich macht das total heiß", flüstert Steffi. Mittlerweile wird er in seinen Geschichten immer mutiger, bis sich Steffi völlig ihrer Lust hingibt. Lange war meiner Freundin überhaupt nicht klar, dass sie dieses Verlangen hat. "Und dann hat es mich große Überwindung gekostet, meinem Mann davon zu erzählen“, gibt Steffi zu. Aber es hat sich gelohnt, denn sie hat gerade den besten Sex ihres Lebens.
Sexfantasien und Wünsche offen ansprechen
Den könnten wir alle haben, wenn wir uns trauen würden, unsere Fantasien zu entdecken und unsere Wünsche auszusprechen. Obwohl wir in einer Welt leben, in der wir an jeder zweiten Straßenecke sexualisierte Bilder zu sehen bekommen, fällt das Reden über Sex den meisten Paaren schwer. Die Scham, ein abnormales Verlangen zu haben, und die Angst vor Ablehnung sind viel zu groß. Dabei sollte man denken, dass nach dem Megaerfolg von "Fifty Shades of Grey" alles im Schlafzimmer erlaubt ist. Viele sexuelle Wünsche bleiben aber unerfüllt, schlicht weil der Partner nichts von ihnen weiß. Dabei liegen hier besonders für Paare, die schon lange zusammen sind, stille Lust-Reserven. Die Wissenschaft hat längst belegt, dass die meisten Menschen tatsächlich ganz normale Fantasien haben. "Die gängigsten drehen sich um Sex an exotischen Orten wie Park, Flugzeug oder Strand, handeln von Unterwerfung und Dominanz oder davon, Verkehr mit einer fremden Person zu haben", sagt Psychologe Christian Joyal von der Université du Québec, der zu sexuellen Fantasien forscht.
Frauen mit höherem Bildungsgrad haben oft Unterwerfungsfantasien.
Christian JoyalTweet
In unserem erotischen Kopfkino geht es oft viel freier und hemmungsloser zu als beim Sex, den wir im Bett haben – auch das ist völlig normal. "Sexuelle Fantasien sind in erster Linie dazu da, um uns zu erregen", erklärt Christian Joyal. Sie sind quasi unser gedankliches Vorspiel. Laut Joyals Untersuchungen hängt die Intensität der Fantasien von mehreren Dingen ab, etwa davon, wie häufig und regelmäßig man Sex hat.
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Je mehr Sex, desto intensiver die Sexfantasien
Vereinfacht lautet die Gleichung: Umso mehr Sex, umso intensiver die Fantasien. Aber unser Kopfkino unterliegt auch der Macht der Hormone, die im weiblichen Zyklus für Lustschwankungen sorgen können, während das Testosteron bei Männern eher konstant die Libido befeuert. "Das ist auch eine Erklärung, warum sie durchschnittlich lebhaftere und konkretere Fantasien haben als Frauen", sagt Joyal. Der Sexualtherapeut Ragnar Beer von der Universität Göttingen hat noch eine zweite Erklärung: "Männer bekommen viel mehr Bilder geliefert als Frauen. Erst langsam erkennt die Industrie, dass 'Sex sells' auch bei Frauen funktioniert." Liegt darin der anhaltende Erfolg von "Fifty Shades of Grey", haben die Bücher die Lust der Frauen befreit? "Sicher nicht, sie haben aber einen Nerv getroffen", sagt Christian Joyal. Laut Joyals Studien haben 63 Prozent der Frauen submissive Fantasien. "Das Überraschende ist, dass diese Zahlen seit 1948 ziemlich konstant sind", erklärt der Wissenschaftler. Früher hieß es, die fehlende Emanzipation der Frauen habe zu diesen Zahlen geführt. "Doch wir haben festgestellt, dass Unterwerfungsfantasien bei Frauen mit höherem Bildungsgrad und gutem wirtschaftlichem Status sogar noch ausgeprägter sind", erklärt Joyal.
Ist es nur Oralsex? Nein, 53 Prozent der Männer möchten dominiert werden
"Viele unterschätzen, wie tief die alten Geschlechter-Stereotypen noch in uns stecken", sagt Ragnar Beer. Also das klassische Bild der Frau, die sich dem Mann unterordnet. Doch tatsächlich wünschen sich auch 53 Prozent der Männer, dominiert zu werden. Manche Männer und Frauen, die in ihren Fantasien gern unterworfen werden, können sich laut Joyal gleichzeitig vorstellen, den dominanten Part zu übernehmen. Diese Art von Verlangen scheint also viel facettenreicher zu sein als bislang angenommen, sie kann auch für sexuelle Offenheit stehen statt, wie oft vermutet, für veraltete Rollenbilder.
Doch woher weiß ich, welche Fantasie ich tatsächlich auch Realität werden lassen will? "Man sollte echte Wünsche von bloßer Fantasie unterscheiden", sagt Ragnar Beer. Wie fühlt sich die Idee eines Dreiers wirklich an? Löst sie ein Kribbeln aus oder schüchtert mich das Unberechenbare ein? Gibt mir die Gefahr, beim Sex im Freien entdeckt zu werden, einen Kick oder wäre es mir dann doch unangenehm? "Man muss einkalkulieren, dass so etwas total schiefgehen kann", sagt Ragnar Beer. Dann könne einen Humor manchmal durchaus retten. Gerade, wenn man sich an eine softe Form von BDSM herantasten will. "Hier geht es aber auch darum, klare Safewords und Stoppzeichen festzulegen", erklärt Beer. Es gäbe viel Fachliteratur zum Thema, schon während der Recherche würde man spüren, ob einen Bondage und andere Dominanzspiele wirklich anregten oder ob die Vorstellung davon doch das Schönste daran sei. Gerade Frauen wollten ihre Fantasien häufig eher nicht wahr werden lassen, vor allem dann nicht, wenn sie extremer seien. Männer seien dazu eher bereit.
Online Fragebogen zum Thema 'Sexuelle Fantasien'
Diese Erfahrung machte auch meine Freundin Steffi. "Als mein Mann mich fragte, ob wir meine Fantasie nicht wirklich umsetzen sollten, wusste ich sofort, dass ich das nicht will", erklärt sie. Viel zu groß wäre ihre Eifersucht, außerdem mache sie die Rolle der Voyeurin nicht an. Ihr gehe es um das gemeinsame Spiel. Trotzdem hat sie eben diese Fantasie ein Stück weit zugelassen und mit ihrem Mann darüber gesprochen – genau das kann der Schlüssel sein, um sich anzunähern. Damit es Paaren leichter fällt, über ihre sexuellen Wünsche zu sprechen, hat die Uni Göttingen für ihr Projekt Theratalk (theratalk.de) einen Online-Fragebogen zum Thema Sexuelle Fantasien entwickelt. Denn oft scheitert der Lustgewinn schon an kleinen Missverständnissen. Wenn die Frau sich etwa wünscht, der Mann möge sich stärker um ihre Brüste kümmern, ist es für ihn wichtig zu wissen, was genau ihr gefällt. Steht sie mehr darauf, dort gestreichelt zu werden oder soll die Brustwarze geknabbert, geleckt oder angehaucht werden?
Hör rein in unseren "Love Your Sex" Podcast mit Gianna Bacio: So kannst du deine sexuellen Fantasien anregen!
Die sexuellen Wünsche des Partners verstehen
Der detaillierte Fragebogen hilft nicht nur, die Wünsche des Partners zu verstehen, sondern sich auch selbst zu fragen: Was erregt mich eigentlich? Was kann ich mir vorstellen? "Gerade für Frauen ist es nach wie vor ein gesellschaftliches Tabu, sexuelle Wünsche zu äußern", weiß Ragnar Beer. Deshalb sei ihnen manchmal auch nicht bewusst, wonach genau sie sich sehnen. Am Ende bekommt das Paar als Ergebnis die Schnittmenge der übereinstimmenden Wünsche. "Wenn es darum geht, den Sex zu verbessern, schafft man das nur, wenn es wirklich konkreter wird", sagt Ragnar Beer. Allen, die ihre Fantasie anregen wollen, empfiehlt er, sich Dinge anzugucken, die sie sonst eher nicht anschauen würden. Erst dann fängt die Vorstellungskraft so richtig an zu arbeiten. Und Beer sieht darin auch die Chance, sich von stereotyp vorgefertigten Bildern zu befreien. Einfach gesagt: Es hilft, wenn Männer mal zum erotischen Roman greifen und Frauen sich einen Porno angucken.
Trotz des Plädoyers für mehr Offenheit empfiehlt Christian Joyal, nicht alle Fantasien mit dem Partner zu teilen: "Gerade in einer Langzeitbeziehung ist es völlig normal, dass man sich während des Sex auch mal eine andere Person vorstellt." Zum Glück ist im Kopf ja alles erlaubt.