Tote Tiere, veraltete Rollenbilder, schreckliche Langeweile: EMOTION.DE sprach mit Alina Herbing über ihren Debütroman und das Landleben.
Gerade ist ihr Roman "Niemand ist bei den Kälbern" erschienen, und mit einer solchen Aufmerksamkeit hat sie ganz bestimmt nicht gerechnet. Alina Herbing wirkt immer noch etwas erstaunt, fast schüchtern, als sie mir im Telefoninterview meine Fragen beantwortet.
EMOTION.DE: Du zeigst in deinem Debütroman "Niemand ist bei den Kälbern", dass das Landleben überhaupt nicht romantisch ist und erst recht nichts mit Zeitschriften wie "Landlust", "Liebes Land" oder "LandIDEE" zu tun hat. Wie bist du darauf gekommen?
Alina Herbing: Ich bin selbst in einem winzigen Dorf mit 30 Einwohnern aufgewachsen. Das war nicht ganz einfach. Ich habe meine Kindheit und Jugend auf dem Land immer eher als Makel empfunden und wollte schon relativ früh nur weg von dort. Leider musste ich warten, bis ich mein Abitur in der Tasche hatte.
Was war so schlimm daran, auf dem Land aufzuwachsen?
Es war oft sehr langweilig. Ich kann an zwei Händen abzählen, wie oft ich damals im Kino war. Zwei bis dreimal am Tag gab es einen Schulbus, das war alles. Ich war oft die einzige im Bus. Wenn ich Freunde besuchen wollte, musste ich immer meine Eltern fragen, ob sie mich fahren. Und ich hatte wenig Möglichkeiten, Menschen kennenzulernen, die auf meiner Wellenlänge waren.
Städter haben oft eine ausgeprägte Sehnsucht nach dem Land. Möchtest du ihnen mit deinem Roman ein Stückchen Realität entgegenhalten?
Ich kann schon verstehen, dass sich dieses romantische Bild vom Landleben hält. Mich hat allerdings oft gestört, dass manche Dinge einfach übersehen werden. Dass es nicht leicht ist, mit der Landwirtschaft seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. sondern im Gegenteil harte Arbeit. Außerdem werden auf dem Land immer noch ziemlich konservative Rollenbilder weitergetragen.
Du bist direkt nach dem Abi zum Studieren nach Greifswald gezogen. Was hat dich gerade an dieser Stadt gereizt?
Ich habe mich nach Orten gesehnt, wo man mehr Menschen kennenlernen kann. Wo man mehr Möglichkeiten hat, mit Kultur und Bildung in Kontakt zu kommen. Ich wollte neue Dinge kennenlernen und nicht jeden Tag auf irgendwelche Felder starren.
Ich kann schon verstehen, dass sich dieses romantische Bild vom Landleben hält.
Alina Herbing, BuchautorinTweet
Dein Buch geht ja ziemlich drastisch los. Wieso hast du den Anfang so gewählt?
Es beginnt mit dem Rehkitz, das vom Mähdrescher zerhäckselt wird. Das ist einem Bauern aus unserem Dorf wirklich passiert. So etwas liest man selten, aber es gehört natürlich auch zum Leben auf dem Land dazu. Über dieses Erlebnis habe ich erst eine Kurzgeschichte geschrieben und daraus hat sich dann über die Figuren der ganze Roman entwickelt. Und übrigens hat damals ein Geschwisterchen des Rehkitz überlebt. Meine Mutter hat es mit der Milch unserer Ziegen aufgepäppelt.
Könntest du dir vorstellen, irgendwann mal eine Rückkehr aufs Land zu wagen, zum Beispiel mit Kindern?
Tatsächlich vermisse ich in Berlin das Land manchmal schon. Wegen der Ruhe und Entspannung, die man in der Natur finden kann. Aber Urlaub und Familienbesuche reichen mir eigentlich. Komplett aufs Land zu ziehen kann ich mir auf gar keinen Fall mehr vorstellen, mir würde all das fehlen, was eine Stadt zu bieten hat.
Darum geht es in dem Roman "Niemand ist bei den Kälbern"
Nordwestmecklenburg: Christin, Anfang 20, ist zwischen Kühen und Feldern aufgewachsen. Sie arbeitet auf dem Hof ihres Freundes, doch Frustration, Langeweile und der geheime Wunsch nach einem besseren Leben treiben sie in eine Affäre und in den Alkohol. Autorin Alina Herbing schaffte selbst den Sprung aus der Tristesse des Landlebens heraus, doch für Christin scheint es keinen Ausweg zu geben. Rau, kühl, schonungslos, aber auch mit eigenwilliger Schönheit entzaubert Herbing in ihrem Debütroman endgültig das romantische Bild der Städter vom Leben auf dem Land.
Alina Herbing, geboren 1984 in Lübeck, wuchs in Mecklenburg auf und lebt heute in Berlin. Nach dem Studium der Germanistik und Geschichte war sie 2012 Teilnehmerin des "open mike" und 2013 des Klagenfurter Literaturkurses. "Niemand ist bei den Kälbern" ist ihr erster Roman.