Die drei Gewinner des Krimiwettbewerbs von EMOTION und Peek & Cloppenburg KG. Der zweite Platz: Birgit Stegmaier
In Heft 10/2011 riefen EMOTION und die Peek & Cloppenburg KG Düsseldorf zu einem Schreibwettbewerb auf: Drei Krimis der Autoren Oliver Pötzsch, Elisabeth Herrmann und Hanna Winter warteten darauf, vollendet zu werden. Die Autoren der zwei besten Geschichten werden mit einem Treffen mit den Bestseller-Autorinnen Elisabeth Herrmann und Hanna Winter belohnt.
Hier sehen Sie unseren Krimi-Aufruf
Recht herzlich bedanken wir uns auch bei den anderen Teilnehmern für ihre Kreativität und die tollen Geschichten.
Platz 2: Birgit Stegmaier mit "Geh Kohlen holen". Plus Interview.
Das Original: Geh Kohlen holen
von Elisabeth Herrmann
Wenn es etwas gab, das sie mit einem ähnlichen Entsetzen erfüllte wie Frösche aufschneiden oder Regenwürmer essen, dann waren es diese drei Worte ihrer Mutter. Sie hasste den Gang hinaus ins Dunkle, die Taschen lampe in der einen, die Schütte für die Eierbriketts in der anderen Hand, durch die Garage vier Stufen hinab in das feuchte, finstere Gelass, in dem zwei riesige Kohlenhaufen wie dunkle Tiere auf der Lauer lagen. Ihr Herz jagte, sie tastete nach dem Lichtschalter und der trübe Schein einer 15-Watt-Glühbirne warf ihren eigenen Schatten grotesk verzerrt an die Wand. Sie schaltete die Taschenlampe aus und legte sie auf einen Stapel Feuerholz. Licht, das war der einzige Freund, der sie hier unten nicht alleine ließ. Der die Schrecken zwar nicht verjagte, aber der sie immerhin in die Ecken trieb, wo sie hocken blieben und warteten, bis sie ihnen den Rücken zukehren würde. Die Schaufel war umgefallen. Sie bückte sich und nahm aus den Augenwinkeln wahr, dass ihr Schatten anders aussah. Größer, unheimlicher, als ob sie sich verdoppelt hätte.
...
...und so geht es weiter: Geh Kohlen holen
von Birgit Stegmaier
Diese süßliche Note von Schweiß war es, die sanft in dem aufgewirbelten Kohlenstaub den schweren Geruch dicken Blutes veredelte und ihn um seinen Verstand brachte. Er wagte es kaum noch, ohne sein vorgehaltenes Taschentuch zu atmen. Es war ein Geschenk seiner Mutter, das die Initialen seines Namens trug. Während in ihren Adern wohl noch das Blut in den allerletzten Zügen pulsierte, beschlich ihn das Gefühl, dass ihn das leblose arme Geschöpf unentwegt mit seinen weit aufgerissenen Augen vorwurfsvoll anstarrte, als ob es ihm noch etwas sagen wollte, so verdreckt und elend wie es auf dem Kohlenhaufen da lag. Er mied den fratzenhaften Blick. Vom Treppenabsatz aus blickte eine hagere Frau zu ihm herab. Von dort beobachtete sie ihn bereits eine ganze Weile, konnte ihn jedoch unmöglich erkannt haben in diesem stickigen Dunkel des Kellers, das stand fest. Schweißtropfen nässten seinen bis oben hin zugeknöpften Hemdkragen. Seit ihrer ersten Begegnung waren dreißig Jahre vergangen. Damals zog sie ihr rechtes Bein noch nicht so taub hinter sich her. Fürwahr, die Zeit hatte aus ihr ein altes ausgemergeltes Weib gemacht. Als John ein kleiner Junge war, stahl er ihr an Werktagen den Schnittlauch aus dem Vorgarten, denn er hatte damals nur dieses eine Butterbrot, das ihm seine Mutter morgens für die Schule mitgab, wenn sie nicht gerade ihren Rausch ausschlief. Als Mary Anne ihn dabei erwischte, standen die Nachbarn am Zaun und schauten zu, wie sie den schmächtigen kleinen Kerl mit dem blassen Gesicht verprügelte. Sie ließen ihre Blicke erst von ihm ab, als sie ihn zur Strafe mit einer leichten Platzwunde an der Stirn und einem Eimer in der Hand in den Keller schickte, in dem er heute als Inspector Williams stand.
Fortsetzung der Geschichte
"Hat er sie angefasst?", wollte sie von ihm wissen. - "Das können wir leider nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen noch nicht sagen. Wir haben soeben damit begonnen die Spuren zu ..." "Ob er sie angefasst hat?", herrschte sie Williams an. Der Täter hatte sie nicht wie einen Wurm aufgeschlitzt und blutverschmiert auf den Briketts der Firma Ruffertons liegenlassen, nein, er hatte sie einfach wie eine Ratte, die sich in ihrem Kellerloch versteckt hatte, erschlagen. Höchstwahrscheinlich hatte er dazu die Schaufel benutzt, die dort angelehnt an der Wand stand. Der Schlag raubte ihr zunächst das Bewusstsein, was ihn dazu verleitete, den Spaten über ihrem Kehlkopf anzusetzen, um ihr dann mit einem kräftigen Fußtritt den Kopf vom Hals zu trennen. War es das, was sie von ihm hören wollte? Vorsichtig versuchte er sie zu beschwichtigen.
"Hören Sie, Ma’am, es ist jetzt nicht der passende Zeitpunkt, um Vermutungen anzustellen. Sie sind die nächste Angehörige. Wir können Pfarrer Murray aus der Gemeinde bitten, Ihnen beizustehen. Aber zuvor ist es unsere Pflicht, Ihnen noch einige Fragen zu stellen." – "Sie wissen genau, was ich meine!", keifte sie und setzte dann nach: "Komm spuck’s aus!" Inspector John Roy Williams bebte am ganzen Leib und stand da als hätte sie ihn in den letzten drei Jahrzehnten dort unten zusammen mit ihren jämmerlichen Habseligkeiten eingesperrt. Stotternd setzte er den Satz immer wieder von Neuem an. "Dem Anschein nnnach ergeben sich keine äußeren Anzeichen dafür ... kkkeine äußeren ... dass es sich hier um ein Sexualverbrechen handelt." Der Schweiß rann ihm über den rechten Handrücken. "Ma’am, was suchte Ihre Tochter in diesem Keller? Musste sie Ihnen die Kohlen holen?" Er war froh, dass ihm nicht wieder seine Stimme versagte. Eine Sprachstörung, die ihn von Kindesbeinen an plagte, machte sich immer in angespannten Situationen bemerkbar. Mary Anne würdigte ihn keines Blickes und warf die morsche Tür in das eingerostete Schloss zurück. Der Inspector stand nun vollkommen im Dunkeln. Den schmächtigen Jungen mit der Platzwunde, dachte er insgeheim, hatte sie tatsächlich nicht wiedererkannt.
Die Polizei aus dem District schwärmte aus, forderte aber gleichzeitig Verstärkung aus Bristol an. Ein paar Kinder wollten einen großen breitschultrigen Mann mit einem schwarzen Schnurrbart gesehen haben, wie er aus dem Kohleschacht kletterte. Einem alten schwerhörigen Mann, der an der Ecke Gainsroad lebte, fiel auf, dass der Kohletransporter für dieses Jahr zu früh dran war. Der Fahrer erinnerte ihn an einen Geiselnehmer aus der Zeitung, dessen Name ihm nicht mehr einfiel. Allerdings war er überzeugt davon, dass es sich um genau diesen Mann handelte. Ein schlecht rasierter Kerl eben. "Ob er einen schwarzen Schnauzer über der Lippe trug?" Er schüttelte den Kopf. "Wer weiß das schon", erwiderte er verwirrt und ging seiner Wege.
Die Kleine war sehr gut in der Schule
Die Vorkommen an Kohle und Eisen an der Küste prägten hier ganze Landstriche. Seit Generationen arbeiteten die Männer in den Minen und förderten, umgeben von Hitze und Staub, schwarzes Gold zutage, wodurch sie einige Unternehmerfamilien zu den Reichsten ihres Landes machten. Verendete ein Bergarbeiter für immer in der Tiefe des Schachts, ging bei den Angehörigen ein Kondolenzschreiben ein, das vom Grubeneigner höchstpersönlich unterzeichnet war. Die Altunternehmer spendeten hohe Summen für eine Kirchenglocke oder sie stifteten eine Kirchenorgel, um den Trauergottesdiensten ein gewisse Würde zu verleihen. "Die Kleine war sehr gut in der Schule. Das sagt zumindest ihr Klassenlehrer. Sie erhielt von ihm ein Empfehlungsschreiben zur Beantragung eines Stipendiums, das er mit dem Schulleiter zusammen für sie entworfen hatte." Inspector Williams saß in einem der vergilbten Hinterzimmer eines Pubs in der Wellingtonroad. Sein junger Kollege, Arthur Brown, nutzte ein Arsenal an verschmierten Notizen, das er vor sich ausgebreitet hatte. "Mit diesen Fördergeldern allein jedoch wäre ein Lehramtsstudium, das sie anstrebte, nicht zu bewerkstelligen gewesen."
Der Wirt brachte Kaffee und stellte zwei Gläser Whisky auf den Tisch. "Da ihr Vater jedoch bei einem Bergwerksunglück ums Leben kam, spekulierte die Schule damit, dass sie eine Waisenrente bekäme, die es ihr ermöglicht hätte, den Absprung aus diesem Nest hier zu schaffen." - "Das hat ihr Klassenlehrer behauptet?"
- "Nein, nicht ihr Klassenlehrer, sondern ein gewisser Mr. Jones. Er war ihr Rektor an der St. Aidan`s High School. Er erzählte mir, dass Kate, die seit dem zehnten Lebensjahr eine Halbwaise war, kein Einzelschicksal sei. Äußerst offen gab er zudem zu bedenken, dass es durchaus einige Schüler gebe, die erst durch das Stipendium und weil sie den fehlgeleiteten Vorstellungen ihrer verstorbenen Väter nicht länger ausgesetzt waren, zu dem geworden wären, was sie heute noch seien: Gewinner. Dann fragte er mich, ob ich denn noch nie von den beiden Rugby-Spielern Robert McCarter und David Nash gehört hätte. Kurz bevor ich ging, erklärte er mir, dass man den Anspruch auf eine Waisenrente in solchen Fällen als eine weise Fügung des Schicksals verstehen dürfe. Schließlich wäre es doch für die Hinterbliebenen so etwas wie ein warmer Regen."
Williams verschluckte sich an seinem Instantkaffee.
"In der Tat halte ich diese Behauptungen nicht nur für äußerst offen, sondern auch für unglaublich dumm. Verschonen Sie mich bitte mit weiteren Ausführungen." Er musste tief durchatmen. In den Augen von Williams spazierte Rektor Jones aus einem einzigen Grund nicht als Verlierer durchs Leben, er hatte einfach das verdammte Glück gehabt, nicht in der Nähe von Cardiff aufgewachsen zu sein, einem Minengrab, das alle um sich herum unbarmherzig in seinen tiefen schwarzen Schlund zog. Oder hatte Jones über Jahre hinweg mit ansehen müssen, wie sein Vater sein kleines Leben in der Hitze einer Zeche, 10 000 Fuß unter der Erde, verbrachte? John Williams war damals noch keine zehn Jahre alt, als er hinter dem Sarg seines Vaters herlief. Norah Williams, die den Tod ihres Mannes nicht verkraftete, verfiel daraufhin zunächst in schwere Depressionen und später dem Alkohol. Andächtig hob Williams das Glas und sprach mit ernster Miene: "Auf den warmen Regen, Mr. Brown!" Dann zog er sich den Whisky allmählich durch die Kehle. Mr. Brown, der ihm sichtlich irritiert dabei zusah, blätterte in seinem kleinen, in Leder eingebundenen Taschenkalender.
Er schien von den Gerüchen betört
"Habe ich schon erwähnt, dass Smith, ihr Klassenlehrer, nicht gerade sehr betroffen zu sein schien über das grausame Ende seiner Musterschülerin?" Aus Pietät hielt er kurz inne. "Er wollte von mir eigentlich nur wissen, was wir bereits über den Täter herausgefunden haben. Smith hat dunkle Haare, ist 1,75 m groß, hat eine athletische Figur und trägt einen breiten schwarzen Oberlippenbart." Mit einem verächtlichen Grinsen fuhr er fort: "Sein Hemd war bis zu seinen Manschetten durchgeschwitzt, als ich ihn zu Dorothy Parker befragte." Williams blickte ihn stutzig an: "Wer um Gottes Willen ist Dorothy Parker?" "Einer unserer Männer kennt Geoffrey, den Hausmeister an der Schule, ganz gut - er war wegen ein oder zwei kleinerer Diebstähle bei ihm auf dem Revier. Er erzählte, dass Smith vor ein paar Jahren einem Mädchen mit diesem Namen nachstellte. Sie war siebzehn Jahre alt und eine Schülerin aus seiner Klasse, genau wie unser Opfer. Die Schulleitung sanktionierte ihn dafür, dass er ihr immer wieder in der Nähe der Umkleidekabine auflauerte. Einmal muss er ihr sogar das Höschen aus dem Spind geklaut haben. Dorothy und ihre Mitschülerinnen waren darüber sehr bestürzt, gingen aber davon aus, dass es sich um einen dummen Scherz von einem der Jungen aus ihrer Klasse handelte. Mit dem Hausmeister, der ihn dabei erwischte, bekam er dann aber ernsthaft Streit. Smith musste wohl sehr aufgebracht und irgendwie nicht ganz bei sich gewesen sein, sagt Geoffrey, denn er streifte sich das Panty wie ein Taschentuch durchs Gesicht. Er schien von den Gerüchen betört. Von Schuldgefühlen oder gar Scham war da keine Spur. Als er sie wenig später nach einer Sportstunde mit einer Reitpeitsche bedrängte, drohte ihr Vater ihm mit Schlägen und ging zum Direktor. Wie gesagt, Smith wurde dafür belangt. Die Schule sorgte aber auch dafür, dass nichts an die Öffentlichkeit drang. Das Mädchen wurde in eine andere Klasse versetzt und erhielt zur Förderung ihrer angeblich exzellenten Fähigkeiten in Französisch ein Stipendium."
- "Wo ist Smith jetzt?" Brown wusste, dass er es noch weit bringen würde. Er war seinem Chef zuvor gekommen.
"Auf dem Revier, Mr. Williams."
Im Gegensatz zu Williams war er noch jung und brannte vor Ehrgeiz. "Hast du mit ihrer Mutter gesprochen?"
-"Nein, aber wenn Sie wollen, fahre ich zu ihr hinaus und bitte Mary Anne, eine Aussage zu machen."
Sein unerschütterter Glaube an sein Gespür für die Jagd ließ ihn oft nächtelang nicht zur Ruhe kommen. Er hatte die Fährte aufgenommen. Williams warf ein paar Pfund auf den Tisch, stand auf und griff nach seinem Mantel.
"Ich komme mit", murmelte er. Als sie das Pub verließen, begann es in Strömen zu regnen. Williams zog sich seinen Mantel an und schlug den Kragen hoch.
Auf die geblümte Tapete spritzte Blut
Als sie an Mary Annes Tür klingelten, stand ein schlecht rasierter Kerl im Unterhemd vor ihnen, der mit seinem Gesicht jedes Verbrecheralbum in der Gegend zierte.
"Rupert Murdoch, was für eine Überraschung!", Brown pfiff durch seine Zähne. Murdoch grinste beide abfällig an. "Ohne Durchsuchungsbefehl von einem Richter kommt ihr mir hier nicht rein. Hat man Euch Drecksbullen das nicht beigebracht?" Hastig schaute sich Brown nach allen Seiten um, während Williams ihn mit ausgestreckten Armen an der Kehle packte und ihn zurück in die Wohnung drängte. "Aber Rupert, du hast uns doch zu dir hereingebeten", erwiderte Brown, schloss hastig die Tür von innen und durchsuchte die Räume nach Mary Anne. Murdoch, der verzweifelt versuchte sich dem festen Griff von Inspector Williams zu entziehen, rang panisch nach Luft. "Die Witwe ist nicht hier", röchelte er. Williams war nicht in der Stimmung, ein übliches Verhör mit einem seiner Verdächtigen zu führen. Er zwängte Murdoch durch die Küchentür, warf ihn gegen die Wand und steckte seine Finger in einen eisernen Schlagring, den er in seiner Manteltasche mit sich führte. Auf die geblümte Tapete spritzte Blut und kurze Zeit später sackte Murdoch in die Knie. Als er mit dem Rücken zu Boden fiel, drückte der Inspector ihm seinen rechten Schuh auf die Kehle.
Brown meldete aus dem hintersten Zimmer: "Es ist niemand hier." "Rupert", fuhr Williams in einem nüchternen Ton fort, "wir müssen es heute kurz machen. Du weißt, warum wir hier sind. Was hast du bei der Witwe verloren? Wo ist sie? Gestern hat sie mich gefragt, ob du ihre Tochter angefasst hast?"
Vorsichtig hob er den Fuß. Murdoch atmete schwer. "Du stehst in meiner Wohnung und willst wissen, was ich hier verloren habe?" Er strich sich mit dem Handrücken über seinen blutverschmierten Mund. "Die Witwe und ich sind verheiratet. Ich hatte mit ihrer Tochter nichts zu schaffen, also habe sie auch nicht angefasst."
Williams setzte wieder den Fuß auf Murdochs Kehle zurück. "Nenn mir einen vernünftigen Grund, warum Mary Anne auf ihre Witwenrente verzichten sollte, um dich Versager zu heiraten. Und komm mir jetzt nicht mit irgendwelchem Liebesgeschwätz!"
-"Für mich ist sie eine Witwe geblieben, weil sie immer noch so von ihrem toten Mann schwärmt. Er sei so ein feiner Kerl gewesen, ihr Archibald. Als wir uns kennenlernten, also Mary Anne und ich, wäre sie von dem bisschen Witwenrente fast vor die Hunde gegangen. Das Balg war ihr dabei keine große Hilfe, auch mit der Waisenrente nicht. Ich hatte Arbeit. Ich fahre für Ruffertons seit drei Jahren den Kohletransporter. Ich verdiene mein Geld und so kamen wir zusammen." Schwerfällig richtete er seinen Oberkörper auf. "Dann kommen wir nochmals auf die Kleine zurück. Als ihr Stiefvater hast du mit ihr nichts zu schaffen gehabt?" Rupert Murdoch spuckte Blut auf den Boden und murmelte: "Meine Antwort willst du doch nicht hören." -"Doch", entgegnete Williams, "Inspector Brown und ich sind ganz Ohr, aber überleg dir jetzt gut, was du uns erzählst."
Fortsetzung der Geschichte
"Dieser Lehrer hatte Kate den Kopf verdreht. Sie war wie ausgewechselt. Er muss ihr erzählt haben, dass sie was Besseres ist und in Paris studieren soll, denn von einem Tag auf den anderen Tag, verbarrikadierte sie sich in ihrem Zimmer und redete kein Wort mehr mit uns. Sie schämte sich mit uns auf der Straße gesehen zu werden. Nachmittags traf sie sich heimlich mit ihm und war dann deprimiert, als sie endlich begriff, dass der Typ ihr mit aller Gewalt an die Wäsche wollte. Sie wollte abhauen, als sie den Abschluss in der Tasche hatte. Aber die Rechnung hat sie wohl ohne ihren Freund gemacht. Der konnte, so wie es aussieht, nicht von ihr lassen." - "Wo warst du zum Tatzeitpunkt?", fragte ihn Williams. "An dem Tag, als es passierte, habe ich meine Ladungen ausgefahren." -"Recht früh, um diese Jahreszeit", merkte Brown an. Murdoch richtete sich wieder auf und klopfte sich den Staub von seine Hose. "Sie bestellen, wir liefern, so ist der Deal." -"Wo ist Mrs Murdoch jetzt?", fragte Williams. "Sicher nimmt sie Beileidsbekundungen vom ganzen Viertel entgegen."
Er strich sich durchs Haar und schaute an sich herunter. "Verlassen Sie nicht die Stadt. Es kann sein, dass wir Sie wieder einmal besuchen kommen", ermahnte ihn Brown, bevor sie die Tür hinter sich schlossen.
Die beiden Männer saßen im Wagen, als Brown seinen dienstälteren Kollegen fragte: "Für wie glaubwürdig halten Sie die Aussagen eines Mannes, der mehrmals wegen schwerer Körperverletzung, Freiheitsberaubung und räuberischer Erpressung eingesessen hat und behauptet, er habe seine Stieftochter nicht angerührt?" Williams rieb sich am Kinn. "Rupert hält schon einmal jemanden gefangen, wenn etwas für ihn herausspringt. Wenn ich seine Akte noch richtig in Erinnerung habe, war er immer hinter dem großen Geld her. An Kindern oder jungen Frauen hatte er sich bisher aber noch nicht vergriffen. Wurde die Leiche denn schon obduziert?" Brown schaute ihn ratlos an. "Kümmern Sie sich um Smith, den haben Sie ja schließlich einbestellt, und das gerichtsmedizinische Gutachten. Ich überprüfe Ruperts Aussagen, was sein Alibi anbelangt." Es regnete immer noch.
Mrs Murdoch stand schon fast vor ihrer Tür, als die gehbehinderte alte Frau, die auf der anderen Straßenseite wohnte, stürmisch an ihre eigene Fensterscheibe klopfte und sie zu sich herüber winkte. "Mein aufrichtiges Beileid, Mrs Murdoch", stammelte sie. "Es ist nicht gerecht, wenn unsere Kinder vor uns gehen." Tränen rannen über ihr verrunzeltes Gesicht. "Haben die Officers den Täter schon erwischt?", die Witwe stand regungslos vor ihr. "Wissen Sie, als der Fahrer von Ruffertons davonfuhr, kletterte ein kräftiger Kerl aus dem Kohleschacht, klopfte sich die Hose ab und verließ die Straße, als hätte er gerade wie jeder andere das Haus durch die Tür verlassen. Das Ganze kam mir gleich sehr merkwürdig vor. Er ergriff weder die Flucht noch schaute er sich um, ob ihn vielleicht irgendjemand beobachtete." -"Haben Sie den Mann hier schon einmal gesehen?", fragte Mary Anne. Die Nachbarin, die das Haus kaum mehr verließ und die Welt nur noch von ihrer Fensterbank aus beobachtete, grübelte nach. "Das nicht, aber irgendwie kam er mir bekannt vor, so nervös, wie er immer die Augenbrauen hochzog." Mary Anne spürte, dass es nichts mehr weiter zu sagen gab, und verabschiedete sich fast erleichtert von ihr. Sie glaubte, den Mann erkannt zu haben, und beschloss, dass es für sie an der Zeit war, zum Beerdigungsinstitut Ferrymans zu gehen. Sie wusste, dass sie sich die Bestattung für ihre Tochter nicht leisten konnte und sagte dies Mr. Ferryman offen heraus. Auch bat sie ihn um einen Gefallen. Wenn er sie überführe, sollte er ihrer Tochter einen Brief beilegen, den sie ihm zu lesen gab. "Meine geliebte Kate, ich bitte dich um Verzeihung für alles, was du ertragen musstest. Ich ahne wer dir dies antat. Du hast ihn mehr als nur geschätzt. Du fandest ihn sogar aufgrund seines Augenleidens geradezu liebenswert. Ich schwöre dir, ihm dies zu vergelten. Deine dich liebende Mutter." Ferryman, der nicht nur ihren verstorbenen Mann, sondern auch allen anderen Männern aus der Mine die letzte Ehre erwies, trat an die Kohlebergbaugesellschaft heran und bat um eine Spende. Da Kate die Tochter eines verstorbenen Bergarbeiters war, wollten die Minenarbeiter, die für sie sammelten, alles über die näheren Umstände erfahren. Auch behielt Ferryman Mary Annes Botschaft an ihre Tochter nicht für sich.
Ich schwöre dir, ihm dies zu vergelten
Smith saß bereits seit Stunden in einem kleinen Verhörraum und Brown wurde nicht müde, den Verdächtigen mit seinen eigenen Aussagen zu konfrontieren.
"Also noch einmal von vorne und verlassen Sie sich diesmal nicht auf den Rückhalt der Schule. Es geht hier schließlich um Mord." Dann spulte er das Tonband an die gewünschte Stelle zurück. "Warum beantragten Sie für Kate Murdoch ein Stipendium?" -"Das sagte ich Ihnen doch bereits. Kate war eine außerordentlich begabte Schülerin und wurde von mir wie auch von der Schulleitung gefördert." -"Unterbrechen Sie mich, wenn ich mich irre, aber der Notenspiegel aus dem letzten Halbjahr lässt einen anderen Rückschluss zu." -"Das liegt in meiner Person begründet", merkte Smith an. "Kate hatte sich in mich verliebt." - "Dann waren Sie so etwas wie ein Liebespaar?", Smith stand der Schweiß auf der Stirn. "Ich sagte Ihnen doch, dass sie sich in mich verliebt hatte. Ich habe ihre Gefühle zu keinem Zeitpunkt erwidert", bekräftigte er. "Aber Mr. Smith, warum trafen Sie sich denn dann mit ihr fast jeden Nachmittag und außerhalb der Schule heimlich und das, obwohl Sie sich ihrer Gefühle bewusst waren?" -"Kate war so ein wissbegieriges Mädchen. Die Fragen, die sie mir stellte, konnte ich ihr im Unterricht gar nicht alle beantworten." Brown stand kurz auf, holte tief Luft und setzte das Verhör fort: "Was haben Sie der Kleinen erzählt? Wie schön und intelligent sie ist und, dass dieses Leben hier für sie zwei Nummern zu klein ist?" Smith runzelte die Stirn und zog die Augenbrauen hoch. "Ich habe sie nicht angerührt." -"Mr. Smith, Sie und ich wissen, dass das nicht wahr ist. Sie sind beobachtet worden und das fast täglich. Sie haben Kate Murdoch, die Ihre Schutzbefohlene war, gefügig gemacht und sie später nach bewährter Manier mit der Beantragung eines Stipendiums abgefunden, in Absprache mit der Schulleitung natürlich!" -"An dem Tag, als Kate Murdoch starb, habe ich im St. Joseph`s Hospital meine Mutter besucht. Ich saß bis spät in die Nacht bei ihr. Befragen Sie das Personal! Kate war nie das, was Dorothy Parker für mich war." Seine Augenlider zitterten unentwegt. "Kapieren Sie das doch endlich !" Brown krempelte seine weißen Hemdsärmel noch höher und begann das Verhör von vorne.
Mary Annes Mutter wollte abends ein Bad nehmen und danach auch noch ihr Mann, wie an jedem Mittwoch in der Woche. Ihre Tochter sollte ihr nach der Schule die Kohlen holen. Als sie abends zurückkam, war Kate nicht da und die Schütte nicht bei den Briketts. Sie und ihr Mann begannen nach ihr zu suchen und sie stritten sich über Kate und die Beziehung zu ihrem Lehrer. Rupert sollte nicht nur die Familie ernähren, er sollte die Verbindung zwischen Kate und Smith unterbinden, was ihm nicht gelang. Es gab Streit. Daran konnte sie sich erinnern. Das Telefon klingelte und riss sie jäh aus ihren Gedanken. Es war das Revier. Sie nahm den Hörer ab. "Natürlich weiß ich wer dran ist", erwiderte sie."Du musst nicht glauben, Williams, dass du, nur weil du es zum Inspector gebracht hast, was taugst", schrie sie ihn an. Aufbrausend fuhr sie fort: "Was ist jetzt mit Smith? Hat er gestanden?" Sie hörte nur kurz zu und unterbrach ihn: "Das heißt, ihr habt ihn laufen lassen?" Inspector Williams bat sie erneut, auf das Revier zu kommen. Mary Anne weigerte sich weiterhin hartnäckig. "Was sollen das für Ungereimtheiten sein, auf die ihr gestoßen seid?" Sie traute ihren Ohren kaum und legte abrupt den Hörer auf. Ihr Mann soll bei Ruffertons nicht mehr als ein Gelegenheitsarbeiter gewesen sein, der zum Tatzeitpunkt keine Ladungen für diese Firma fuhr? Sie lachte ungläubig. Als er wieder nach Hause kam, war er über und über mit Kohlestaub bedeckt und sah aus, als hätte er wieder wie früher in den Minen zu arbeiten begonnen.
Als sie die Tür öffnete, begegnete ihr der Hausmeister mit finsterem Blick. Er drängte darauf, mit ihrem Mann zu sprechen. "Ein Mr. Murdoch hat auf Rechnung der Hausverwaltung Kohle bestellt", sprach er in einem vorwurfsvollen Ton. "Sollte Ihr Gatte noch einmal auf so eine fixe Idee kommen, müssen Sie mit einer Kündigung rechnen. Sagen Sie Ihrem Mann, dass er als Mieter auch künftig dazu nicht befugt ist. Außerdem war noch genügend Vorrat im Keller!" Mary Anne verschloss verstört die Tür zu ihrer Wohnung. Diese Ladung hatte ihr Kind, wenn es zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch gelebt haben sollte, endgültig unter sich begraben. Der Polizei war es einzig und allein möglich gewesen, auf ihren Leichnam zu stoßen, weil einer der Officers die Schütte hinter dem Kohlehaufen gefunden hatte. Was hatte sie ihr nur angetan! Ihr Herz schlug wild. Sie wusste, wie sehr ihre Tochter es hasste, in den Keller zu gehen, und sie sah sie vom Treppenabsatz aus noch ein letztes Mal lebend mit der Schütte in der einen und der Lampe in der anderen Hand. Langsam schritt sie den Gang im Flur entlang, bis sie vor der Kommode stand. Vorsichtig zog sie die unterste Schublade an ihren abgenutzten Griffen heraus.
Er hatte die Taschenlampe an ihren alten Platz zurückgelegt. Das geschah wohl aus Gewohnheit. Wie benommen wankte sie durch die Garage vier Stufen hinunter in das finstere Gelass. Wie an jedem Mittwoch einer Woche würde er ein Bad nehmen und dazu die Briketts aus dem Keller holen müssen. Sie würde auf ihn warten wie ein Schatten ihrer selbst. Sie würde auf ihn warten mit dem Spaten, fest umklammert, in ihrer Hand.
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