In der Fülle an Neuerscheinungen verliert man schnell den Überblick. Deshalb hier drei Bücher, die unbedingt bald auf Ihrem Nachtkästchen liegen sollten. Diesmal empfohlen von Rezensentin Heidrun Küster.
Alexandra Lavizzari: "Flucht aus dem Irisgarten" (Zytglogge)
"Wenn ich wüsste wohin" hieß ein früherer Roman der Schweizer Autorin. Dort ging es um den "Seelenkater" einer 49-jährigen Ehefrau und Mutter, ums Aufbrechen und Nichtankommen in Zeiten der Ratlosigkeit zwischen leerem Nest und erkalteter Ehe. Auch die "Flucht aus dem Irisgarten" führt mit traumwandlerischer Sicherheit einzig ins Ungefähre. Auf sich verrätselnden Fährten unmerklich Surreales streifend. Die elf leisen, ahnungsvollen Erzählungen, die sich subversiv gemächlich entwickeln und mit Spannung aufladen, sind von Andeutungen und Unausgesprochenem, jähen Entschlüssen und überraschenden Auflösungen erfüllt.
Es sind sprachschöne, poetische Fluchten vor der verrinnenden Zeit und dem, was sie aus Beziehungen macht. Da gibt es etwa Paare, zwischen denen sich Welten entfalten und doch wieder aufreißen. Da gibt es verzauberte "Sommer des Luftfischens" und "Angelblicke". Es geht um vergessenes Glück und bleibende Ratlosigkeit. Um Fluchten nach innen, in einen Körper, der seiner Umwelt Signale verweigert. Um Fluchten vor Erinnerungen und Geheimnissen, um irritierende Weltabwendung im Handeln und Wollen. So selbstgenügsam das auf den ersten Blick scheint, bietet es doch auch ganz unzeitgemäß unordentlichen Gefühlen Raum. Gefühlen, die in den zeitgeistigen Anstrengungen der Selbstoptimierung, in der zielorientierten Rush-Hour des Lebens gern überfahren werden. Unsere Zauberwörter "Entschleunigung", "Downshifting", "Ich-Zeit"- hier lassen sie sich ganz entspannt lesend umsetzen.
Tadsch Os-Saltane: "Memoiren" (Osburg)
Harem. Was auch immer wir damit assoziieren - das, was hier nachzulesen ist, bestimmt nicht! Autorin Tadsch Os-Saltane wurde 1884 als Tochter des persischen Naser ed-Din Schahs geboren, wuchs in unfassbarem Reichtum auf und starb 1936 völlig verarmt in Paris. Ihr 1914 niedergeschriebener Text öffnet die Tür zu einer fremden, versunkenen Welt jenseits gängiger Klischees. Der Harem war ein dicht bevölkerter Kosmos: Der von ihr wortreich verehrte Vater "hatte ungefähr 80 Frauen und Konkubinen", die wiederum über je zehn bis zwanzig Bedienstete verfügten. Hinzu kamen Eunuchen, eine riesige Kinderschar und reichlich Familienbesuch. Sie erzählt vom Innenleben der Gemeinschaft, von Rivalitäten, Betrügereien und Intrigen, von prächtigen Kleidern und Festen mit eigentümlichen Vergnügungen wie dem "Lampenlöschspiel": Nach Einführung der Elektrizität bissen, kratzten, prügelten sich da eifersüchtige Rivalinnen im Dunkeln zur Belustigung des Schahs, des Herrschers über den Lichtschalter.
Mit acht verlobt, mit dreizehn verheiratet, schreibt Tadsch Os-Saltane beneidenswert selbstbewusst: "Keine Frau im Iran war so attraktiv und schön wie ich." Doch ebenso nachdenklich: Sie hatte offenbar einen wachen Geist und beklagt ihre mangelhafte Erziehung, später setzte sie sich aktiv für Frauenrechte ein. Da war ihr Land nach der Ermordung des Vaters im Chaos versunken, hinter ihr lagen zuletzt drei Ehen und drei Selbstmordversuche. Ihr Text lässt staunen, spricht sie doch ganz unverstellt Frauenthemen und Probleme an, die uns noch heute beschäftigen. 90 Seiten Nachwort und Anhang beleuchten eingängig dieses einzigartige Dokument, beschriebene Personen und politische Entwicklungen.
Jessica Adams, Maggie Alderson, Imogen Edwards-Jones, Kathy Lette (Hrsg.): "Gute Nacktgeschichten" (rororo)
Wellness muss nicht teuer sein, auch eine Session mit diesen wirklich guten "Nacktgeschichten" entspannt ganz wunderbar. Schon die Titel! "Engel Gabriel", "Präriewühlmaus", "Der vielseitige Gärtner", "Mach einfach die Augen zu und denk an England" ... Unter beziehungsreichen Pseudonymen wie Pom Pom Paradise, Rosa Mundi, Cassandra Bedwell, Minxy Malone oder Tutty Monmouth entlocken 20 bekannte britische Autorinnen dem guten, alten Sex neue, aufregende Facetten – zu erraten bleibt, wer von Fay Weldon, Adele Parks, Ali Smith, Esther Freud oder Joanne Harris sich hinter welchem Namen verbirgt. Sie erzählen, was Frauen wollen.
Betörende, in phantasievolle Geschichten eingehüllte Akte, wahrlich traumhafte Begegnungen, verspielt, skurril, erfahrungsgetränkt. Anders als bei den meisten männlichen Erotik-Autoren wird hier die kapriziöse Dame Klitoris nach glanzvollen Auftritten durchgehend mit großem Applaus gefeiert. In Geschichten, die Frauen vermutlich anders aufwühlen und erregen als Männer, denn hinreißend anspruchsvolle Fremd- und Nebenmänner stellen hier gewohnheitsmäßig bescheidene Ehemänner ordentlich in den Schatten. Also gleich hinlegen und LESEN!
Über die Rezensentin
Heidrun Küster, 59: drei Kinder, angelegt zwischen Teenager-Schwangerschaft und Spätgebären, und meist verheiratet. Parallel: Büro, Abendgymnasium, Buchhandel, Studium, Bibliothek, seit über 20 Jahren Rezensentin der bundesweiten Einkaufszentrale für Bibliotheken (ekz), seit über 10 Jahren Vorträge in Bibliotheken und Volkshochschulen über Neuerscheinungen, Buchmarkt-Themen und den entsprechenden Zeitgeist und engagierte BücherFrau.
Diese Buch-Tipps entstanden in Kooperation mit den BücherFrauen. Mehr über die "Women in Publishing"