Die Fachanwältin für Familienrecht spricht mit unserer Chefredakteurin über Trennungen, Mediation und Unterhaltszahlungen.
Kathrin Severin ist Familien- und Scheidungsanwältin mit Schwerpunkt Mediation. Sie ist eine enge Freundin unserer Nachbarn. Wenn wir uns treffen, sprechen wir häufig darüber, welche Themen uns Frauen und ihre Mandantinnen am meisten beschäftigen. In letzter Zeit diskutieren wir oft darüber, warum Paare sich heute schneller trennen als noch vor zwanzig Jahren.
Mein Eindruck ist, dass man nicht nur auseinander geht, weil man unglücklich ist, sondern weil man noch glücklicher werden will.
Das beobachte ich auch. Übrigens nicht nur bei den Jüngeren, sondern auch bei den über 60-Jährigen. Wer glaubt, nicht glücklich genug zu sein, schlussfolgert oft, dass er nicht den richtigen Partner hat. Man hinterfragt nichts mehr, sondern geht, wenn man das Gefühl hat, die Sonne scheint woanders heller.
Welche Themen bewegen Frauen am häufigsten?
Seit der großen Reform im Unterhaltsrecht 2009 sorgen sich Frauen viel mehr, was mit ihnen geschieht, wenn sie sich von ihrem Mann trennen: Wie komme ich künftig zurecht? Was passiert mit mir? Wovon lebe ich? Was mache ich beruflich, wenn ich wegen der Kinder länger raus bin? Oder wenn ich nicht mehr in meinen alten Beruf zurück kann, weil ich meinem Mann hinterhergezogen bin? Wie lange bekomme ich Unterhalt? Kann ich wohnen bleiben, wo ich wohne? Was ist mit meiner Altersvorsorge? Die Abgrenzung des neuen Unterhaltsrechts vom alten ist schwierig und durch viel Rechtsprechung aufgeweicht. Dadurch entsteht eine große Unsicherheit.
Dabei wollte man doch durch das neue Unterhaltsreformgesetzt Frauen gerade pushen, schneller wieder arbeiten zu gehen ...
Ja, aber das Problem ist nach wie vor, dass sich viele toll ausgebildete Mütter und Ehefrauen dennoch für Plan B entscheiden, d.h. dem Familienleben sehr verhaftet sind und dann erst nach fünf, acht oder zehn Jahren merken, dass die damalige Entscheidung nicht richtig war. Über das neue Unterhaltsreformgesetz wollte man zwar einen Druck entwickeln, dass Frauen nach drei Jahren, wenn die Kinder gut betreut sind, wieder anfangen zu arbeiten. Aber darauf gehen viele Frauen nicht ein. Die Anzahl derjenigen, die mit Familie mehr als 15 Stunden pro Woche arbeiten, ist in Deutschland nach wie vor nicht hoch. Viele Frauen richten sich stattdessen ganz gut zu Hause ein und leiden dann aber nach einer Zeit auch oft darunter, dass sie sich von ihren Männern nicht mehr wahrgenommen fühlen.
Haben sich die Trennungsgründe in den letzten Jahren geändert? Was sind heute die häufigsten Scheidungsgründe?
Der häufigste Trennungsgrund ist nach wie vor ganz überwiegend die Untreue des Ehemannes. Ganz selten erlebe ich, dass man sich auseinander gelebt hat. Meistens stellt sich im Laufe des Mandats heraus, dass es eine große Enttäuschung gab. Und ganz häufig ist es so, dass ein anderer, neuer Partner im Spiel ist.
Oder Frauen gehen, weil sie zurückgelassen werden, sich eben nicht mehr wahrgenommen fühlen - kein Blick, keine Liebe und Intimität mehr da ist. Für Männer verändert sich ja wenig, wenn sie heiraten. Sie leben meistens mit Familie ihr bisheriges Leben weiter. Wir Frauen verändern hingegen ganz viel. Das führt dazu, dass wir uns in der neuen Rolle oft nicht mehr wahrgenommen und geliebt fühlen. Den Eindruck haben, ich erledige hier alles, den Haushalt, den Garten, die Kinderbetreuung, aber mein Mann sieht das alles nicht. Sieht mich nicht mehr.
Der dritthäufigste Grund ist Alkohol. Das war vor vielen Jahren noch nicht so. Frauen sind dabei sehr geduldige Wesen, halten die Alkoholsucht des Partners viele Jahre aus.
Wer reicht dann meistens die Scheidung ein?
Männer setzen in den meisten Fällen die Ursache. Frauen trennen sich endgültig, indem sie sich an einen Anwalt wenden. Ich habe 15 Jahre lang für den deutschen Familienrechtstag eine Statistik gepflegt aus der man das auch rauslesen konnte: Männer sind weniger aktiv, wenn es an die Trennung geht. Frauen ziehen die Entscheidung hingegen durch.
Was erlebst Du bei der Mediation? Welche Learnings können wir ziehen?
Kommunikation ist meines Erachtens die größte Schwäche zwischen Partnern. In der Mediation versuchen wir eine selbstgewählte Lösung für beide Partner zu erreichen. Und da merken wir, dass sie oft jahrelang über gewisse Themen nie gesprochen haben.
In den Trennungsgesprächen kommen häufig plötzlich ganz neue Facetten in ein Gespräch. Es ist erstaunlich, was es wachrüttelt, wenn Partner gezwungen werden, über die Folgen ihrer Trennung zu sprechen und damit überhaupt wieder miteinander zu kommunizieren.
Wann ist eine Mediation erfolgreich?
Wenn man zum Anwalt geht, steht der Entschluss zur Trennung meist fest. Das Ziel ist also keine Versöhnung, sondern dass Paare durch solche Gespräche friedlicher und mit mehr gegenseitiger Wertschätzung auseinander gehen. Das gelingt, wenn wir eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung erarbeiten.
Frauen bleiben oft in Beziehungen, obwohl sie sich eigentlich trennen möchten. Woran liegt das?
Frauen tun sich häufig schwer mit der Vorstellung, plötzlich auf sich allein gestellt zu sein. Und seit dem letzten Unterhaltsreformgesetzt ist die Angst vor den wirtschaftlichen Folgen einer Trennung größer denn je. Diese Angst ist auch gesteuert von den Abhängigkeiten in der Ehe, die ja auch besteht, wenn man jahrelang wenig oder gar nicht gearbeitet hat. Dagegen hilft, sich schnell und gut beraten zu lassen.
Was rätst Du Frauen in dieser Situation?
Diese Angst nicht zu groß werden zu lassen, sondern sich schnell und gut beraten zu lassen. Und zwar nicht nur hinsichtlich der juristischen Möglichkeiten und rechtlichen Aussichten, sondern auch hinsichtlich der beruflichen Chancen. Und auch bezüglich der eigenen Emotion. Es gibt in Hamburg zum Beispiel tolle Initiativen, „Die Perspektive“ oder „Frauennetz Aktiv“. Sie kümmern sich um Frauen, die einen Wiedereinstieg suchen. Sie stärken das Selbstbewusstsein, helfen, wieder sicherer aufzutreten und vor allem auch klar mit ihrer Entscheidung zu sein. Denn der Rückfall, d.h. wenn ich mich einmal trennen möchte und es dann doch nicht schaffe, mich zu lösen, schafft in vielen Familien über viele Jahre sehr unglückliche Situationen. Ich erlebe es, dass Menschen über viele Jahre so ausgehöhlt und kraftlos werden, dass sie es dann gar nicht mehr schaffen, aus der Abhängigkeit rauszukommen.
Viele sagen auch, dass sie wegen der Kinder blieben. Denen möchten sie eine Trennung nicht zumuten.
Ich halte das für eine Ausrede. Kinder können mit klaren Verhältnissen viel besser umgehen, denn sie erleben ihre Eltern ja unglücklich - und das unabhängig davon, ob sie 5, 10 oder 24 Jahre alt sind. Vor allem ganz kleine Kinder haben sehr ausgeprägte Antennen und spüren, dass etwas nicht in Ordnung ist. Wenn wir in der Mediation Kinder miteinbeziehen, stellen wir oft fest, dass sie den Trennungswunsch sogleich gemerkt haben. Man kann Kindern nichts vormachen.
Umso wichtiger ist es, in der Trennung klar zu sein. D.h. einen vernünftigen Berater zur Seite zu haben, der mich dabei unterstützt mein Konzept in allen drei Bausteinen umzusetzen: Wie gehe ich persönlich mit der Trennung um? Wie sichere ich meine wirtschaftliche Situation? Und wie schaffe ich alles zu klären, ohne Kampfeslust und emotionaler Zerstörung?
Seit kurzer Zeit bietest Du mit einer Therapeutin ein Trennungscoaching an. Worum geht es dabei?
Unser Ziel ist es, Paaren zu ermöglichen, sich nicht gegenseitig zu einem Trennungskampf anzustacheln. Es geht darum, sich friedlich zu trennen, gemeinsam eine Lösung zu entwickeln. Zu lernen, mit den negativen Emotionen umzugehen. Einmal inne zu halten. Zurückzusehen.
Wie schaffe ich es ohne die Explosion?
Es geht darum, über das Coaching die Wahrnehmung für meine Ehe zu verändern. Darauf aufbauend dann wieder einen neuen Blick zu bekommen und auch die Gedanken des anderen zu verstehen. Und so aber auch meinen Partner empfänglicher für meine Sorgen zu machen. Denn dann gelingt es auch besser, ihm klarzumachen, dass man für die gemeinsamen Kinder zum Beispiel 15 Jahre nicht gearbeitet hat und es dafür jetzt einen fairen Kompromiss geben muss. Wenn die Emotionen zur Seite geräumt werden können, gibt es mehr Raum für Empathie und diese kann man schnell in faire Vereinbarungen gießen.
Zurück zum neuen Unterhaltsrecht. Was ist Deine Empfehlung für Frauen, die heiraten und Kinder bekommen?
Wenn es irgendwie geht, nie aus dem Beruf ganz auszusteigen! Stattdessen sollte man versuchen – trotz Babypause – seinen Fuß in der Tür zu behalten und den Anschluss nicht zu verlieren. Denn man wird heute als Frau – ob im Unterhaltsrecht oder beim Versorgungssystem – nicht glücklich, wenn man nur auf die Einverdiener-Ehe zählt.
Wir wussten schon 1992, dass unser Rentenversicherungssystem das nicht packt. Und so kann ich nur jeder Frau empfehlen, zumindest in Teilzeit schnell wieder tätig zu werden, Betreuungsmöglichkeiten auszunutzen und auch ihre Kinder mal loszulassen. Denn auch das ist heute ein großes Beratungsthema. Es gibt Kinder, die mit 14 Jahren immer noch nicht eine Stunde allein sein können, da die Mutter ständig um sie herum ist. Es ist wichtig zu lernen, Kinder früh zu sozialisieren, in die Betreuung zu geben und anzuerkennen, dass das nicht unbedingt nachteilig für sie ist.
Gibt es etwas, das Dich nach 20 Jahren Berufserfahrung immer noch mal überrascht?
Ja, dass uns Frauen, trotz der ganzen Ausbildung, oft die Souveränität fehlt, sich so anzunehmen, wie wir sind. Frauen sind viel zu kritisch. Und teilen auch selten ihre Schicksale mit anderen. Sie reden zwar viel, aber weniger ehrlich miteinander. Stattdessen vergleichen sie sich untereinander. Möchten etwas darstellen.
Wenn man aber ehrlich Sachen anspricht, erfährt man auch, dass andere mit ähnlichen Problemen kämpfen, kann Ratschläge bekommen oder von anderen Erfahrungen lernen. Sich menschlich zu öffnen, hilft voranzukommen und im Leben glücklicher zu sein.
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1969 in Paderborn geboren, studierte Kathrin Severin nach dem Abitur Rechtswissenschaften in Münster. Ihre berufliche Karriere startete sie 1997 als Anwältin in Berlin. Seit 1999 ist sie Fachanwältin für Familienrecht, seit 2002 Notarin in Schleswig-Holstein und Partnerin in einer mittelständischen Kanzlei.
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