"Die ersten Jahre braucht mich mein Kind ganz und gar" - davon war unsere Kolumnistin fest überzeugt. Aber ihre kleine Tochter sah das irgendwie ganz anders.
Wie ideologisch in Deutschland das Thema Krippe und Betreuungsgeld diskutiert wird, verstand ich erst, als ich selber vor fünf Jahren schwanger wurde. Ich erinnere mich an einen wunderschönen Sommertag im Garten meiner besten Freundin, als ich ihr stolz meine runde Kugel präsentierte und einfach nur Erdbeeren essen wollte. Da ging es auch schon los. Ob ich auch eine von den Frauen wäre, die ihr Kind in den ersten drei Jahren zu Hause behalten möchten, fragte sie mich. Und als ich dies vorsichtig bejahte – so genau hatte ich noch gar nicht darüber nachgedacht – war ich schon in der Falle.
Von wegen Rabenmütter
Das sei ein vollkommen veraltetes Mutterbild aus der Nazizeit, sagte sie da plötzlich mit einer gewissen Schärfe. Kinder gehörten, das sei psychologisch erwiesen, so früh wie möglich in die Krippe zu anderen Kindern. In keinem anderen europäischen Land denke man so rückständig wie bei uns. Nur in Deutschland würden Frauen, die ihre Kinder vor dem dritten Lebensjahr in die Krippe geben, immer noch als Rabenmütter gelten.
Am Ende verließ ich meine Freundin mit einem guten Dutzend Psychologiebüchern unterm Arm und mit schlechter Laune. Hatte ich wirklich so ein altmodisches Mutterbild? Ich behielt mein Kind zu Hause, um überraschend bald sanft, aber nachdrücklich zu einer 180-Grad-Wende gezwungen zu werden – von meiner Tochter. Sie war gerade mal anderthalb Jahre alt, als es sie mit Macht in den Kindergarten zog. Händeringend sah ich mich plötzlich am Telefon einen Krippenplatz suchen, den ich Gott sei Dank nach einigen Umwegen schnell bekam.
Meine Tochter liebt die Krippe – und ich langsam auch
Es war fantastisch, wie sie morgens freudestrahlend ihren Brotbeutel schwenkte und loslief. Es war beeindruckend, wie viel sie lernte, und es war hinreißend zu sehen und zu fühlen, wie sehr sie sich freute, wenn ich sie wieder abholte. Ein wunderschönes Ritual von Abschied und Wiedersehen, das inzwischen seit drei Jahren in unserem Leben ist.
Oft haben die Krippenausbau-Befürworter einen ziemlich fanatischideologischen Unterton, der fast ein bisschen familienfeindlich wirkt. Die Betreuungsgeld-Befürworter scheinen mir zum Teil ähnlich fanatisch einer rückwärtsgerichteten Nostalgie von Großfamilie und wildem Spielen auf dem Land anzuhängen; einem Leben, das es in der Realität kaum noch gibt. Beide Seiten haben das Thema Kindererziehung zu einem ideologisch verminten Gebiet gemacht. Dabei schließen sich Krippe und Familie doch überhaupt nicht aus.
Kein Krippenzwang
Der Krippenausbau ist unbedingt zu begrüßen. Aber die Kinder sollten wohldosiert herangeführt werden. Es darf niemand gezwungen werden, sein Kind in eine Krippe zu geben, finde ich. Vielleicht sollten sich alle Beteiligten lieber um die Qualität der Krippen und Kindergärten bemühen, anstatt sich gleich, typisch deutsch, über unterschiedliche Weltbilder zu zerstreiten.
Bettina Röhl trifft viele Menschen. Die Publizistin und Buchautorin ist bekannt für ihren kritischen Blick - dabei mag sie es eigentlich harmonisch.