Mit Seitensprüngen souverän umgehen? Daran glaubt unsere Kolumnistin nicht. Sie will die Liebe auf ganz andere Weise revolutionieren.
Neulich las ich mal wieder eine dieser Geschichten von zwei Menschen, die eine offene Beziehung führen. Die beiden plauderten in einem Interview über Ängste, Seitensprünge und Eifersucht. Alles natürlich kein Problem, sagten sie. Und wie immer, wenn ich von dieser Art von Beziehung höre, merke ich, dass ich skeptisch bin. Ich nehme dem Paar seine coole, ach so entspannte Haltung nicht ab. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es für eine Partnerschaft tatsächlich gut ist, sie permanent mutwillig aufs Spiel zu setzen.
Die freie Liebe war vielleicht das größte Erfolgsgeheimnis der 68er
Das Ideal der freien Liebe ist immer wieder von Avantgardisten propagiert worden. Große Paare wie Simone de Beauvoir und Paul Sartre lebten sie vor, und seit Erfindung der Antibabypille schwärmten die Hippies davon. Die freie Liebe war vielleicht das größte Erfolgsgeheimnis der sogenannten 68er-Bewegung. Deren Anhänger predigten eben nicht nur den Systemumsturz, sondern wollten auch gleich noch die Sexualität revolutionieren. Und genau das zog viele Menschen an – verunsicherte sie aber auch.
Denn Sex ist nun mal ein Bereich, in dem wir sehr empfindlich sind. Es gibt keine Regeln, die die richtige Dosis an Freiheit und Leidenschaft festlegen oder die angemessene Portion an Routine berechnen. Zudem will niemand als Spießer oder Langweiler gelten, weil er seit Jahren in einer unbefriedigenden Beziehung festsitzt. Andererseits will auch niemand vor den Scherben einer zerbrochenen Partnerschaft stehen, weil er letztlich doch traumatisiert vom eigenen Seitensprung oder dem des Partners kapitulieren muss.
Gefühl und Verletzlichkeit
Kann man von seinem Partner Treue verlangen? Muss man Verführungen außerhalb der Beziehungen entsagen? Wer weiß darauf eine Antwort? Und wer kann sagen, wie es geht? Wie gestalten wir eine Beziehung jeden Tag neu, spannend und trotzdem vertrauensvoll, womöglich ein Leben lang?
Ich finde, wir sollten uns wieder mehr auf unser Gefühl und unsere Verletzlichkeit verlassen. Denn die meisten Frauen, die ich kenne, können mit Seitensprüngen genauso wenig souverän umgehen wie ich. Und mein Mann sagt, dass Männer dazu noch viel weniger in der Lage sind.
Was macht die Liebe frei?
Meiner Meinung nach müssen wir uns von dem immer noch starken Diktat der freien Liebe emanzipieren. Und hinterfragen, was es eigentlich ist, das die Liebe frei macht? Bestimmt nicht der Freischein für Seitensprünge. Das wäre zu wenig. Ich wage sogar die Theorie, dass sich der Reiz des Seitensprungs verliert, je mehr wirkliche Freiheit in eine Beziehung einzieht, das heißt, je mehr wir den anderen so lassen, wie er ist. Diese Haltung wirkt wie Sauerstoff, der das Feuer entfacht. Und was ich noch glaube: Es ist sinnvoller, sich immer wieder aufs Neue um guten Sex mit dem Partner zu bemühen, als diese Erfüllung in immer neuen Begegnungen zu suchen, deren Intensität mit der Zeit verblasst, statt zu wachsen.
Bettina Röhl trifft viele Menschen. Die Publizistin und Buchautorin ist bekannt für ihren kritischen Blick – dabei mag sie es eigentlich harmonisch.