Berit Brockhausen ist eine der führenden Psychologinnen Deutschlands und Expertin für Beziehungen. Egal ob Sie Fragen zu Liebe, Familie, Freunden oder Nachbarn haben – hier bekommen Sie eine Antwort.
Kinderwunsch
Anke, 35: Unser Sohn, 3, ist unser größtes Glück. Dennoch arbeiten mein Mann und ich nach der geteilten Elternzeit gern beide wieder Vollzeit und könnten zurzeit die Stunden auch nicht reduzieren. Ist es nicht verrückt, dass wir uns ein zweites Kind wünschen?
Berit Brockhausen: Nein überhaupt nicht. Verrückt wäre es nur, den Wunsch umzusetzen und davon auszugehen, dass er sich ohne Abstriche erfüllen lässt. Doch genau das ist Ihnen ja bewusst. Sie stellen sich dem Zwiespalt: Ihre Gefühle haben Lust auf diese besondere Zeit mit einem Baby, auf die Intensität des Zeugungssex, auf ein Haus voller Kinderlachen und Spielsachen, auf ein lebendiges Leben als Mehrkinderfamilie. Die Gefühle sagen: Los geht’s!
Ihre Vernunft dagegen spricht eine andere Sprache. Denn ganz gleich, wie Sie sich entscheiden, Sie müssen etwas aufgeben. Wenn einer von Ihnen Abstriche bei der Arbeit macht, riskiert er seine Karriere. Das kann in Ihrer Liebesbeziehung zu einem Ungleichgewicht führen, zu Unzufriedenheit und Vorwürfen. So sah der Traum vom zweiten Kind nicht aus. Und wenn Sie beide weiter voll arbeiten, kann aus dem Traum auch schnell ein Albtraum werden: permanentes Organisieren, Stress, Überforderung. Das war ganz gewiss nicht, was Sie wollten.
Aber diese Ambivalenz gehört zum Leben dazu. Sie und Ihr Partner können sie spüren und Sie geben beiden Seiten Raum. Das ist gut, denn das ermöglicht, um all das zu trauern, was nicht möglich ist. Wenn Sie Ihren Traum vom zweiten Kind leben wollen, werden Sie einen Preis dafür bezahlen. Und wenn Sie es nicht tun ebenfalls.
Sich darüber im Klaren zu sein, dass unsere Wünsche und Gefühle nicht immer eindeutig sind, und dass es Situationen gibt, in denen keine gute Lösung möglich ist, ist alles andere als verrückt. Im Gegenteil, es ist gesund und sehr erwachsen. Ganz gleich, wie Sie sich am Ende entscheiden, ich wünsche Ihnen und Ihrem Mann sehr, dass Sie etwas Gutes daraus machen.
Familie
Jule, 31: Meine Schwester, 33, und ich haben zusammen viel Spaß. Aber vor unseren Eltern kritisiert sie mich und schlägt sich bei Auseinandersetzungen immer auf deren Seite.
Berit Brockhausen: Huch? Wie viele Auseinandersetzungen haben Sie denn noch mit Ihren Eltern? Sollten Sie nicht längst in Ihrem eigenen, erwachsenen Leben angekommen sein? Ihre Eltern dürfen natürlich gern von außen betrachten, was Sie so alles tun und erleben; am liebsten natürlich wohlwollend oder stolz. Doch wenn den beiden das nicht möglich ist, ist das nicht Ihr Problem.
Es ist wichtig, dass Sie sich bewusst machen: Was auch immer Ihre Eltern über Sie denken, Sie treffen Ihre Entscheidungen unabhängig von ihnen und machen das Beste daraus.
Aber genau das scheint das Problem zu sein. Sowohl Sie als auch Ihre Schwester verhalten sich wie Kinder, die von den Bewertungen der Eltern abhängig sind. Sind Sie das? Bekommen Sie noch Geld von zu Hause oder sind auf Hilfe angewiesen, etwa bei der Kinderbetreuung? Dafür zahlen Sie natürlich einen Preis, wenn diese Leistungen nur unter der Bedingung erfolgen, dass Sie sich wohlverhalten.
Es wird Zeit, etwas zu verändern: neue Freunde, professionelle Kinderbetreuung und Abstand zur Herkunftsfamilie. Entwickeln Sie eigene Standpunkte und die Fähigkeit, dazu zu stehen. Wann, wenn nicht jetzt? Auch eine realistische Einschätzung anderer Menschen kann hilfreich sein, zu lernen sich abzugrenzen. Und wenn Ihre Schwester Ihnen wieder in den Rücken fällt, sagen Sie ihr mit der neu erworbenen inneren Unabhängigkeit, ruhig und klar, was Sie davon halten.
Berit Brockhausen ist eine der führenden Psychologinnen Deutschlands, Expertin für Beziehungen und Buchautorin. Lesen Sie hier das Interview zu ihrem Buch "Hoheitsgebiete".