Bodenständigkeit ist was Feines! Bei diesem Wort denken zu unrecht viele an Vorgärten, Bausparvertrag und Schweinebraten. An Stillstand statt an Freiheit. Falsch, sagt unsere Kolumnistin. Und erklärt, warum uns ohne Wurzeln keine Flügel wachsen können.
Ein Hoch auf die Bodenständigkeit!
Festen Boden unter den Füßen zu haben, hat seine Vorteile, ganz egal, wie und worauf man steht. Ihn unter den Füßen zu verlieren, bedeutet: schwanken, stolpern, unsicher sein, machmal so gar hilflos. Dennoch zählt Bodenständigkeit nicht zu unseren attraktivsten Eigenschaften. Warum nur?
Vorurteile gegenüber bodenständigen Menschen
Es scheint, als ob bodenständige Menschen zwar einen festen Platz im Leben haben, bei ihnen aber nicht viel passiert. Vorgärten werden geharkt, das Essen steht pünktlich auf dem Tisch und der Bausparvertrag garantiert die bestmögliche Planbarkeit von Veränderungen, falls die überhaupt jemals eintreten. So hören sich zumindest unsere Vorurteile an. Spießig sei so ein bodenständiges Leben, festgefahren. Eben alles andere als revolutionäre Selbstverwirklichung. Aber was ist spießig daran, mit den Händen in der Erde zu wühlen und ein paar Blumen auf die Welt zu helfen? Und warum sollten wir nicht unser Geld zusammenhalten? Vielleicht spart der Herr mit dem handtuchgroßen Vorgarten auf ein Segelschiff, mit dem er um die Welt reisen will. Auf seinen großen Lebenstraum von der unendlichen Weite.
Freiheit statt Grenzen
Möglicherweise ist Bodenständigkeit gar nicht das Aus für unsere Freiheiten, sondern ganz im Gegenteil die eigentliche Voraussetzung dafür. Schade, dass sie in unserem oft so abgehobenen Leben ziemlich abhanden gekommen ist. Genau das beschrieb Martin Heidegger schon in den 50er Jahren. Zum einen sei die Bodenständigkeit durch die Nachlässigkeit der Menschen bedroht, so der Philosoph, aber mehr noch durch den vorherrschenden Zeitgeist. Denn schon damals schien Bodenständigkeit wenig mit einem erfolgreichen Leben zu tun zu haben.
Vorteile von Bodenständigkeit
Doch wenn wir uns selbst beobachten, können wir sehr wohl ganz konkrete Momente finden, in denen Bodenständigkeit von Vorteil ist. Etwa beim Yoga: Wer mit seinen Beinen sicher auf der Erde steht, ist nicht nur standfester, sondern auch flexibler, kann seinen Körper in verschiedene Richtungen dehnen, ohne gleich umzufallen. Es geht also nicht um Stillstand, sondern vielmehr um stabile Beweglichkeit. Der Physiker Hans Peter Dürr untermauert dieses anatomische Bild in seinen Vorträgen: Stünden wir nur auf einem Bein, würden wir uns mit dem Gleichgewicht schwertun. Hätten wir hingegen drei Beine, wäre die Stabilität zwar gewährleistet, aber wir würden weniger gut von der Stelle kommen.
Das Großartige an unseren beiden Beinen ist, dass sich zwei in sich wacklige Systeme ergänzen: Sofern wir mit dem einen Bein ins Wanken geraten, nehmen wir das andere zur Hilfe – und kommen dabei sogar noch von der Stelle. Das ist Fortschritt im allerbesten Sinne, ein Fortschritt, der aber nur dann funktionieren kann, wenn wir jedes Bein immer wieder fest auf den Boden setzen und erst dann den nächsten Schritt machen.
Auf diese Weise können wir es sogar schaffen, hin und wieder voller Leichtigkeit über ein Hindernis zu springen oder einen Höhenflug wagen. Wir schwingen uns nämlich gern zu Höherem auf, was aber nur klappt, wenn wir gut verwurzelt sind. Das wusste schon Goethe, der riet: "Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel." Und wir wissen das eigentlich auch.
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