Sich von jemandem oder etwas zu trennen heißt: dem Vergänglichen zuzustimmen. An Silvester feiern wir das sogar mit einem Feuerwerk. Wovon möchten Sie sich im alten Jahr verabschieden, um dem Neuen im nächsten Jahr eine echte Chance zu geben?
"Auf Wiedersehen ..." Mit diesen Worten verabschieden wir uns von allen möglichen Menschen. Und das fällt uns ganz leicht. Weil es nun mal nicht schmerzt, wenn wir die Frau aus dem Schuhladen oder die nette Kellnerin verlassen müssen. Ja, nicht mal bei einer Freundin machen wir uns groß Gedanken darüber. Wir gehen schließlich davon aus - wie die Wortwahl schon zeigt -, dass wir sie nicht zum letzten Mal getroffen haben. Ein Wiedersehen wird sich schon ergeben. Entweder weil wir gerade in der Gegend sind, es so sein soll oder weil wir einfach Lust darauf haben. Ein wirklicher Abschied ist das nicht, sondern eine Trennung auf Zeit.
Wenn jemand oder etwas einfach so nicht mehr da ist
Manchmal sagen wir aber auch: "Ich ruf dich an". Oder: "Man sieht sich!" Obwohl wir wissen, dass das höchstwahrscheinlich nicht geschehen wird. Statt sich mit dem Ende zu konfrontieren, bleiben wir vage, drücken uns davor, ehrlich zu sein. Lieber lassen wir uns ein Hintertürchen offen. Das ist bequemer. Ein wirklicher Abschied hingegen hat etwas Endgültiges. Aber wie gehen wir damit um, wenn Menschen und Dinge aus unserem Leben verschwinden, ob wir wollen oder nicht? Was machen wir mit diesem Gefühl des Unwiederbringlichen, wie Hannah Arendt es nennt?
"Philosophieren bedeutet sterben zu lernen"
Wir müssen den Abschied wortwörtlich "nehmen": annehmen, dass es sich nicht ändern lässt, dass wir mit einer Lücke, einer Erinnerung, einem Schmerz leben werden müssen. Das ist ein durch und durch mutiger Moment. Es geht um nichts weniger, als der Vergänglichkeit zuzustimmen, mit der wir nur dann einigermaßen klarkommen, solange es sich um verwelkte Blumensträuße handelt. Dem Thema Tod gehen wir so weit wie möglich aus dem Weg. Der französische Philosoph Michel de Montaigne hat einmal gesagt, Philosophieren bedeute sterben zu lernen, und meinte damit, dass wir im philosophischen Denken üben können, die Vergänglichkeit zu akzeptieren.
Sich symbolisch und wahrhaftig verabschieden
Ein wirklicher Abschied bedeutet auch, sich dafür zu entscheiden, mit einer Narbe, aber eben nicht mit einer ständigen Wunde herumzulaufen, die bei jedem Schritt neue Schmerzen mit sich bringt. Wie das geht? Indem wir uns dem widmen, was wir hergeben müssen oder wollen - und uns nicht mit Geschäftigkeit aus dem Staub machen. Es lohnt sich, am Bahnhof zu stehen und dem Zug hinterherzuwinken, eine Zeremonie für das gestorbene Kaninchen zu feiern, einen Abschiedsbrief zu schreiben oder auch nur einen wirklich letzten Blick auf das zu wagen, was einfach nicht mehr so ist, wie es einmal war.
Platz für Neues
Hermann Hesse hatte recht, wenn er den Zauber beschwört, der jedem Anfang innewohnt, der natürlich auch immer ein Ende in sich birgt. Aber dieser Zauber bekommt nur eine Chance, wenn das Alte tatsächlich ein Ende findet und dem Neuen Platz einräumt. Wovon wollen Sie sich im alten Jahr verabschieden? Um das herauszufinden, laden Sie am besten all Ihre schlechten Gewohnheiten zu einer rauschenden Abschiedsparty ein.
Ina Schmidt, 39, ist Philosophin und Autorin. Sie hat die Initiative „denkraeume“ gegründet, mit der sie die Weisheit großer Denker aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft in den Alltag holt.