Es gibt Momente, in denen sich unsere Kolumnistin am liebsten verkriechen möchte. Doch sie weiß, draußen wartet was, das ihr Herz zum Hüpfen bringt
Manchmal schießt unsere Gesamtbefindlichkeit im Bruchteil einer Sekunde von null auf hundert oder umgekehrt. Nein, ich spreche ausnahmsweise nicht von der Liebe, sondern von Arztterminen. Da ich diese so liebe wie der Vampir die Knoblauchzwiebel, legte ich kürzlich zwei auf einen Tag. Zahn und Auge – beides Schwachstellen meines ansonsten robusten Körpers. "Nur TÜV?", fragte mein Zahnarzt und schob mich in diese "Kopf unten, Beine hoch"-Position, in der man sich immer so wunderbar ausgeliefert fühlt. Er untersuchte meine Mundhöhle mit einem fiesen Instrument. "Da wackelt was", sagte er plötzlich, rief der Sprechstundenhilfe etwas von Zement, Alkohol und Ultraschall zu, während sich mein Herzschlag verhundertfachte. Es war dann nur eine lose Schraube in meinem Implantat, in 15 Minuten war die Sache geregelt. Ziemlich geschlaucht ging ich zum Augenarzt. Ich bin blind wie ein Maulwurf. Was konnte jetzt noch kommen? Makulatrübung, Netzhautablösung?
Die Rezeptionistin fragte mich: "Sind Sie Evelyn Holst?" Erstaunt nickte ich, denn privat verwende ich meinen Ehenamen Kusserow. "Ich liebe Ihre Kolumnen", strahlte sie, "bitte, machen Sie weiter so." Der Tag war gerettet. Und blieb es, bis ich aus der Post die Ankündigung einer Steuerprüfung fischte, und wurde es kurz vor Mitternacht wieder, als ich meinen verlorenen Lieblingsohrring fand. Ist es nicht ein Segen, dass unser Leben eine Wundertüte ist und wir nie wissen, was als Nächstes passiert? Dass in jeder Sekunde fast alles möglich ist? Und wir zum Glück mit einem sehr flexiblen Herzmuskel ausgestattet sind, der sich an alles perfekt anpasst?
Der Alltag schickt uns manchmal vom Himmel in die Hölle
Ich denke jetzt nicht an Schicksalsschläge wie Tod, Unfall, Krankheit, sondern an die Dinge des Alltags, die uns manchmal blitzschnell vom Himmel in die Hölle schicken und wieder zurück. An fast jeder Ecke können wir nach rechts oder links abbiegen und dort entweder den Mann unseres Lebens treffen oder über einen Stein stolpern, der uns für Wochen in den Gips zwingt. Wir gehen an einem günstig beleuchteten Spiegel vorbei und fühlen uns supersexy, nur um fünf Meter weiter an einem ungünstig beleuchtete in eine tiefe Depression zu fallen. Wenn der Mann meiner Freundin nicht an einem völlig zugewachsenen Grundstück in Südfrankreich vorbeigefahren wäre, hätten sie jetzt kein Haus im Süden. Und wenn mein damaliger Lover mich nicht verlassen hätte, wäre ich nicht zu der Weihnachtsfeier gegangen, auf der ich meinen Mann kennengelernt habe.
Um 18 Uhr eine Tempopackung vollschluchzen und um 22 Uhr den ersten Engtanz mit dem zukünftigen Ehemann wagen, das muss mir erst mal eine nachmachen. Leben ist das, was passiert, wenn du gerade andere Pläne machst, singt John Lennon in dem wunderschönen Lied "Beautiful Boy". Aus unerfindlichen Gründen kommt es entweder richtig dicke oder man hat eine Glückssträhne. Meinem Mann fällt dazu dieser Ehemann ein, der einen Sechser im Lotto hatte. Als der seiner Frau davon erzählt, fällt sie vor lauter Glück tot um. "Tja", sagt der Mann, "das nenn ich einen guten Lauf." – "Nur ein Witz", sagt mein Mann, "unsere Ehe hätte doch wirklich schlimmer kommen können."
Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine) und Frauen (ist ja eine). Ihr Lebensmotto: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn...