Unsere Kolumnistin erklärt, warum wir gerade dann, wenn wir mit dem Schlimmsten rechnen, uns ganz entspannt zurücklehnen könnten.
Sie war zwölf, als der Kaufhausdetektiv mich anrief: "Ihre Tochter wurde beim Ladendiebstahl erwischt", sagte er streng. "Sie können sie jetzt abholen." Ihr Diebesgut war fast rührend: ein Lidschatten, eine BritneySpearsCD, ein Schächtelchen rosa Glitter. Noch rührender waren die dicken Tränen, die ihr die Wangen hinunterkullerten, als ich sie in dem muffigen, fensterlosen Büro abholte. "Mama, das war das erste Mal!", schluchzte sie. Und ich schwankte zwischendem Wunsch, sie ganz fest in die Arme zu nehmen, und der aufsteigenden Panik, dass meine süße Tochter, die ohne ihre Beanie Babies nicht einschlafen konnte, auf dem besten Weg war, eine kriminelle Karriere zu beginnen. Und genau das ist das emotional Anstrengende daran, wenn Kinder Dinge tun, die sie nicht tun sollten: mütterliche Unsicherheit.
Nicht zu wissen, ob es sich um einen einmaligen Ausrutscher handelt oder den Anfang vom Ende. Ausnahme oder Einstiegsdroge? Und deshalb steht man ihre gesamte Pubertät hindurch am Rande eines Nervenzusammenbruchs. So fühlte ich mich auch, als mein Sohn mit 15 seinen ersten Rausch hatte und direkt neben den nicht schnell genug herbeigeholten Eimer kotzte. Einerseits war ich zum Platzen genervt über die Stinkerei, die ich aufwischen musste, während mein Sohn laut schnarchend auf seinem Bett zusammengebrochen war. Andererseits hatte ich Angst. Fing so jugendliche Alkoholsucht an? Würde er beim nächsten Besäufnis vor ein Auto laufen oder inein paar Jahren als Penner am Hauptbahnhof liegen?
Ich musste an einen alten Lover von mir denken, ein schwerer Schluckspecht, den ich irgendwann nicht mehr einladen durfte, weil er auf jeder Feier unter dem Tisch landete. War das die Zukunft meines Sohnes? Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden, heißt es bei dem Philosophen Sören Kierkegaard. Ein schöner Satz, der mich aber auch nicht weiterbringt.
Das Leben macht sowieso, was es will
Ich wäre so wunderbar tiefenentspannt, wenn der liebe Gott mir in bestimmten Lebenskrisen ein sanftes "Reg dich nicht auf, es geht alles vorbei" zuraunen würde. Aber leider ist mein Kopfkino in allen Lebenslagen überaktiv. Holstauge, sei wachsam! "Es wird später heute Abend, warte nicht auf mich", sagt mein Mann. Halt! Fangen im Fernsehen und in den Romanen mit den hellblaurosa Schutzumschlägen nicht genau so die Fremdgehgeschichten an?
Vorhang auf – mein Mann in einem zerwühlten Bett, neben ihm eine Frau, jünger, schöner, vor allem erotischer als ich – stopp! Man muss sich einfach damit abfinden, dass das Leben sowieso macht, was es will. Dass es Zufälle, Schicksalsschläge und vor allem Kinder gibt, die nicht in jeder Sekunde daran denken, was für Schreckensszenarien sich in leicht hysterischen Mütterhirnen abspielen.
Die Erfahrung lehrt ja, dass die wirklich schlimmen Sachen immer dann passieren, wenn man gar nicht an sie denkt. Und umgekehrt. Meine Tochter hat nie wieder geklaut. Mein Mann ist, soweit ich weiß, noch nicht fremdgegangen. Und meinen Sohn habe ich, jedenfalls bis jetzt, noch nicht aus einer Ausnüchterungszelle abholen müssen. Es hätte also schlimmer kommen können. Viel schlimmer.
Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine), Frauen (ist ja eine).