Der Autor Raymond Carver ist für seinen knappen Stil berühmt. Der von seinem Lektor kreiert wurde. In dem Werk "Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden" zeigt sich sein Stil nun ganz unverfälscht.
Ausgewählt vom Netzwerk BücherFrauen, diesmal von der freien Autorin, Anke Küpper.
Raymond Carver: "Beginners: Uncut - Die Originalfassung" (S. Fischer):
Seine lakonischen Short Stories machten Raymond Carver in den siebziger Jahren weltberühmt. Der knappe Stil beruht jedoch großteils auf Eingriffen des Lektors, wie später bekannt wurde. Zeitlebens hat Carver sich eine ungekürzte Veröffentlichung seiner Geschichten gewünscht. Fast 25 Jahre nach seinem Tod liegt nun mit "Beginners" erstmals die Originalfassung seines Erzählbandes "Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden" auf Deutsch vor.
"Ich schleuderte das Scheißding, so weit ich konnte." "Und all diese bekackten Platten dazu!" Sätze wie diese hat Carver nie geschrieben. Sie stammen aus der Feder seines Entdeckers, Freundes und Lektors Gordon Lish. Lish kürzte Carvers Texte nicht nur extrem und schuf so den viel gelobten minimalistischen Sound, der Carver zum Star der Literaturszene machte. Er dichtete Vorhandenes auch um, machte es härter, cooler, ordinärer – und gab Carvers Geschichten von Trinkern und Verlierern, von Liebe und Tod, oft einen anderen Sinn.
Die Titelgeschichte, von Lish umbenannt in "Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden", hieß zum Beispiel ursprünglich "Anfänger". Carver entwirft darin das anrührende Porträt eines alten Paares und seiner ein halbes Jahrhundert überdauernden Liebe. Von Lish werden die "Eheleute" nicht nur in "die beiden Alterchen" umgetauft, er verknappt die Story auch um die Hälfte. Als der alte Mann nach einem schweren Unfall dem Arzt sagt, es bringe ihn um, dass er seine Frau durch seinen Kopfverband nicht mehr sehen könne, ist Lishs Version auf spektakuläre Weise zu Ende. Carver hingegen lässt den Leser teilhaben an der Wiederbegegnung der beiden. Weinend halten sie Händchen und selbst die sonst so zähe Krankenschwester schluchzt los.
"Beginners" und "Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden" sind zwei verschiedene Bücher. Beide sind sehr lesenswert. Höchst interessant ist jetzt der Vergleich des emotionaleren Originals mit der cool zugespitzten Fassung.
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Anke Küpper, 46, arbeitet als freie Autorin. Unter anderem hat sie fast zwanzig Kultur-, Natur- und Reiseführer für Kinder und Erwachsene sowie zahlreiche Wissens-Quiz zu verschiedenen Themen veröffentlicht. Für Verlage schreibt sie Vorschau- und Klappentexte und entwickelt Buchtitel. Sie ist Mitglied in der Hamburger Bürogemeinschaft co’media und im Netzwerk der Bücherfrauen (www.buecherfrauen.de).
Diese Buch-Tipps entstanden in Kooperation mit den BücherFrauen. Mehr über die "Women in Publishing"