Die Opernsängerin Susannah Haberfeld möchte ihr Publikum nicht nur unterhalten, sondern auch berühren. Dafür arbeitet sie gelegentlich hinter Gittern oder singt a cappella im Bahnhof.
emotion: Susannah Haberfeld, Sie sangen zuletzt die Sara in der Kirchenoper "Sara und ihre Männer". Liegt Ihnen Biblisches?
Susannah Haberfeld: Ja, sehr! Ich interessiere mich für religiöse Themen, weil Religion eine zusätzliche Dimension in unser Dasein bringt. Auch in der Musik wird diese Dimension spürbar - sie lässt in den Menschen etwas anklingen, das tiefer geht.
Gibt es ein Erlebnis, bei dem Ihnen diese Dimension erstmals so richtig bewusst geworden ist?
Mit etwa 15 Jahren hatte ich ein Aha-Erlebnis. Am Zürcher Theaterspektakel wurde "Mahabharata" von Peter Brook gezeigt, ein indisches Heldenepos. Ich war schon als Kind in Opernvorführungen gewesen und hatte in Theatern gesessen. Doch dieses fünfstündige Stück zog mich in den Bann wie keines zuvor. Ich spürte eine unheimliche Tiefe, eine Lebensenergie. Es führte durch alle existenziellen Themen wie Leben, Tod, Glück und Leid - Themen, die für alle Menschen gleich sind, egal aus welcher Kultur sie stammen. Ich wusste, solches Theater wollte ich später einmal machen, Theater, das in den Menschen etwas bewegt.
Klingt nach einer frühen Karriereplanung.
Das nicht, allerdings hatte ich damals schon eine Band. Aber einfach so im Keller rumhängen, war nicht mein Ding. Es musste etwas Ernsthafteres geben. Ich liebäugelte mit der Schauspielerei, studierte dann aber Gesang. Es folgten Engagements in der Schweiz und Luxemburg. Kurz darauf wurde ich von der Musikakademie in Aix-en-Provence für die Oper "Don Giovanni" angefragt. Regie führte Peter Brook! Mein Traum, mit diesem großen Meister zusammenzuarbeiten, war in Erfüllung gegangen. Ein Jahr lang waren wir anschliessend auf Welttournee.
Gibt es Stücke, die Sie ähnlich tief berührt haben?
Zum Beispiel "Europeras 5" von John Cage in Berlin, wo ich mitten im Hauptbahnhof auf einer Rolltreppe durch die Passanten fuhr und Arien sang. Ohne musikalische Begleitung. Das hatte etwas Authentisches, Echtes. Denn der Gesang berührte die Menschen sehr direkt. Für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, ein kleiner Teil von etwas wirklich Großem zu sein.
Hatten Sie dieses Gefühl noch bei einem anderen Projekt?
Als ich, während meiner Zeit an der Oper in Halle von Luigi Dallapiccola "Il prigioniero", also "Der Gefangene", sang. Mitten in der Stadt steht ein Gefängnis. Ich fand, wenn man schon ein Stück über Gefangene aufführt, dann doch dort. Leider war es aus logistischen Gründen nicht möglich, das Orchester in den dortigen Räumen unterzubringen. Immerhin konnte ich erreichen, dass sich jugendliche Straftäter das Stück in der Oper anschauen durften. Danach erarbeitete ich ein Jahr lang mit Sträflingen hinter den Gefängnismauern ein Theaterstück. Diese Arbeit gab mir Sinn, für mich war sie relevanter als konventionelles Theater.
Planen Sie Ähnliches?
Schon seit einigen Monaten versuche ich, etwas in der Männerbadi in Zürich zu realisieren. Mein Projekt "Warm up Zürich" soll ein Zeichen setzen gegen die Kälte in dieser Stadt. Aber in Zürich ist alles so kompliziert und schwerfällig. Es wird abgewogen und Einwände werden erhoben. Man braucht einen langen Atem. Zuvor hatte ich die Idee für ein Strassentheater. Dafür sprach ich auf der Straße eine junge Punkerin an, die mit ihren fünf Hunden am Boden saß. Ich fragte, ob sie bei einem solchen Projekt mitmachen wolle. Ihre Antwort war: "Was krieg ich dafür?" Und: "Ich hab sowieso keine Zeit!" Wie typisch für Zürich!
Kürzlich haben Sie an der Oper in Tel Aviv gesungen. Sind die Menschen dort anders?
Ja. Man spürt, dass sie es nicht nur leicht haben. Trotzdem oder gerade deshalb sind die Israeli viel direkter und angstfreier als wir hier. Und es herrscht nicht dieses Schubladendenken. Es ist beispielsweise völlig normal, dass jemand sowohl singt als auch Regie führt. Bei uns hat man es gerade als klassische Sängerin schwer, in einem anderen Gebiet ernst genommen zu werden. Aus diesem Grund habe ich auch damit begonnen, nebenbei meinen Master in Arts Administration an der Uni Zürich zu machen. Und weil es mir in Tel Aviv so gut gefiel, habe ich dort gleich noch mein Wirschaftspraktikum in der Deutschen Handelskammer absolviert, das ich im Rahmen meines Studiums ohnehin machen musste.
Wie lange sind Sie dann insgesamt geblieben?
Fünf Monate. Geplant waren fünf Wochen.
Und? Möchten Sie wieder dorthin?
So schnell wie möglich! Ich hoffe, dass ich bald wieder vom Opernhaus angefragt werde. Ich habe ja jüdische Wurzeln, und während meiner Zeit in Israel lernte ich viel über diese Kultur. Ich merkte: Das hat etwas mit mir zu tun.
Inwiefern?
Zum Beispiel während meines Wirtschaftpraktikums. Wenn ich telefonierte und meinen Namen nannte, tönte es vom anderen Ende: Ah, Frau Haberfeld! Kennen Sie vielleicht den und den? Mein Nachname war ihnen geläufig! Selbst am Flughafen wurde ich vom Personal fast wie eine alte Bekannte behandelt, wenn ich ihn sagte. In der Schweiz muss ich meinen Namen oft wiederholen, bis er überhaupt verstanden wird. Ich entdeckte auch, dass es in Israel viele Rothaarige gibt, sie werden "Gingit" genannt. Das finde ich lustig, denn in Großbritannien, wo meine Mutter herkommt, heissen wir "Ginger".
In Israel fühlten Sie sich also richtig wohl?
Ja. Ich habe schon in verschiedenen Ländern gelebt und habe walisisches, polnisches und ungarisches Blut in mir. Bislang hatte ich allerdings nirgendwo das Gefühl, zu Hause zu sein. Aber in Israel, da fühlte ich mich plötzlich daheim.
Susannah Haberfeld, 40, studierte Gesang und Schauspiel am Royal Northern College of Music in Manchester und machte ihr Diplom am Schweizerischen Opernstudio in Biel. Sie lebt in Berlin und Zürich.