Warum nur glauben wir so oft, wir müssten wie die Männer sein? Unsere Blog-Autorinnen zum Thema "Schöner, stärker, weiblicher".
Nichts gegen Ehrgeiz und Toughness – aber auf Sanftheit, Mütterlichkeit, soziales Denken und die Fähigkeit, manches einfach hinzunehmen, kann man mindestens genauso stolz sein.
Eine gute Freundin von mir, Henriette Hell, hat ihr erstes Buch geschrieben. Es heißt "Achtung, ich komme! In 80 Orgasmen um die Welt"*. Sie beschreibt darin auf höchst amüsante Weise ihren Selbstfindungstrip rund um den Globus – durch jede Menge fremde Betten, immer auf der Suche nach einem entspannten Orgasmus. Eigentlich ist eine Sexreise ja Männersache. Wenn ein Typ wie ein einsamer Wolf durch Indien und Amerika streift und hier und da mal eine Frau aufreißt, ist er, wenn er Nachhause kommt, ein Held.
Frauen schütteln vielleicht den Kopf über ihn, aber männlich ist so ein Mann ja schon. Und eine Frau, die sowas macht? Ist natürlich in erster Linie ganz schön leicht zu haben. Könnte man meinen. Meine Freundin Henriette (übrigens mittlerweile seit Jahren wieder glücklich vergeben) ist stolz auf ihr Buch und das sexuelle Selbstbewusstsein, dass sie durch ihren Trip erlangt hat. Klar fürchtet sie sich vor fiesen Kommentaren. Aber deshalb lässt sie sich nicht davon abhalten, dass zu tun, was sie will. Ganz schön stark, finde ich. Und ganz schön weiblich so zu seinem Frausein zu stehen und zu zeigen: Stolz von sexuellen Erfahrungen zu erzählen, ist keine Männersache mehr.
"Die Frau hat jahrhundertelang als Lupe gedient, welche die magische und köstliche Fähigkeit besaß, den Mann doppelt so groß zu zeigen, wie er von Natur aus ist", hat Virginia Woolf einmal geschrieben. Heute sind diese Zeiten zum Glück vorbei. Frauen hatten noch nie so viele Freiheiten. Und doch scheinen wir nie unsicherer gewesen zu sein. Eine aktuelle Studie zeigt: Junge Frauen zwischen 21 und 34 Jahren haben sich noch nie so sehr unter Druck gesetzt gefühlt. Von den Männern, von ihren Arbeitgebern, von ihrer Familie. Eine gute Performance in allen Lebensbereichen wird quasi vorausgesetzt, eben weil wir ja heute alles machen können und "geht nicht" gibt's nicht mehr. Alice Schwarzer hat mal (sinngemäß) gesagt: "Nach Feierabend sieht man Frauen dann mit Aktentasche und vollgepackten Einkaufstaschen, hohen Schuhen und müden Gesichtern vor einem Kaufhausständer mit Dessous stehen, die auch eine Prostituierte tragen könnte." Klar: Wir wollen sexy sein und trotzdem ernst genommen werden. Wir wollen Karriere machen und eine Familie gründen. Wir wollen alles alleine hinkriegen und gleichzeitig von unserem Mann beschützt werden. Warum zerreißen wir uns eigentlich so?
Eine gute Freundin meiner Mutter zum Beispiel, geht seit 30 Jahren in ihrer Rolle als Hausfrau auf. Sie kocht und backt und putzt und betüddelt ihren Mann. Sie hat daraus eine Wissenschaft entwickelt. Für jeden Fleck gibt es den passenden Putzlappen, dreimal im Jahr wird das ganze Haus neu gestrichen, fast wöchentlich der Garten umgebuddelt und täglich Kochkünste und Bügeltechniken perfektioniert. Sie ist eine der glücklichsten, weiblichsten Frauen, die ich kenne. Vielleicht weil sie nie versucht hat, etwas anderes zu sein, als genau die Person, die sie ist. Sie wollte nie Karriere machen. Sie wollte nie die ganze Welt bereisen. Sie hat einfach schon sehr früh erkannt hat, was sie wirklich glücklich macht. Und genau das getan.
Schön, stark und weiblich zu sein – das bedeutet vielleicht, dass wir lernen zu uns stehen. Zu unseren Wünschen und unseren Neigungen. Zu unseren sanften und verletzlichen Seiten, wie zu unseren rauen und kantigen Charakterzügen. Zu akzeptieren, dass wir nicht alles sein können und trotzdem glücklich werden. Natürlich wollen wir den Männern, unserer Familie und ja, der ganzen Welt gefallen, aber müssen wir nicht zuallerst uns selbst gefallen? Die Mauern im Kopf einreißen, die uns davon abhalten so frei und individuell zu leben, wie wir es wollen? Zeigen, dass Weiblichkeit und Schönheit mehr sind als eine Körperform oder ein Charakterzug. Dass jede Frau ihr eigenes kleines Universum in sich trägt – ein verrücktes, eigensinniges und unvergleichlich schönes Universum, dass sich dem erschließt, der sich traut, ganz genau hinzusehen.
* Henriette Hells Buch ist am 16. März 2015 beim Blanvalet Verlag erschienen.