Wenn Peter und ich uns streiten endet das immer damit, dass einer von uns im stillen Hausflur steht. Meistens ist das Peter.
Ich schubse Peter sanft durch die Tür auf den Flur.
Peter sagt, ich sei immer viel zu impulsiv.
Ich sage, ich sei nicht impulsiv, ich sei prähistorisch geprägt. Als angehender Erzieher müsse er das doch wissen. Ich sei über alle Maßen enttäuscht. Ich hätte ihm echt mehr Einfühlungsvermögen zugetraut.
Er fragt, welche Prähistorie ich in meinem Alter denn schon haben könne.
Ich sage, das hätte nichts mit der zeitlichen Erfassung des Raumes zu tun, sondern mit der Intensität des Erlebten. Das sei ungefähr so, als wenn drei Dinosaurier die Eiszeit überlebt hätten und eine neue Eiszeit drohen würde, dann würden die auch hysterisch werden. Er sei doch schließlich angehender Erzieher, etwas mehr emotionales Verständnis hätte ich da echt schon erwartet.
Peter fragt, ob ich ihn für eine Eiszeit halte.
Ich sage: "Du verstehst mich nicht."
Er sagt: "Du verstehst dich doch selbst nicht."
Ich sage: "Das habe ich auch nie behauptet", und knalle die Haustür zu.
Er murmelt, ich sei herrisch und bestimmend.
Ich schreie durch die Tür: "Ich kann dich hören und das stimmt überhaupt nicht. Halt jetzt die Klappe und steh deine Strafe ab."
Nach drei Stunden lasse ich Peter wieder in die Wohnung.
Er sagt, er habe nachgedacht und möchte mir die Option eröffnen, dass wir uns entweder scheiden lassen oder eine Therapie machen.
Ich sage: "Da hast du aber hübsch existentiell nachgedacht, und das Wort heißt bei uns Trennung, denn wir sind nicht verheiratet und das werden wir auch nie sein, aber das ist auch gut so, weil Paartherapien billiger sind als Eheberatungen, denn als unverheirateter Paarteilnehmer steckt man zwar auch mit dem Kopf in der Schlinge, aber man spürt den Stuhl noch unter den Füßen."
Peter sagt, sein Stuhl wackle schon.
Also, besuchen wir den Herrn Psychologen.
Er fragt, welche Probleme wir haben und ich sage ihm, das wir keine Probleme hätten, würde Peter stets seine Strafe anerkennen und freiwillig in den stillen Flur gehen.
Peter sagt, ich sei zu dominant.
Ich sage, ich sei emanzipiert.
Der Psychologe sagt, das sei Interpretationssache.
Dann fordert er mich auf, von meiner Kindheit zu erzählen.
Ich sage ihm, meine Kindheit war schön und er solle bloß nicht versuchen mir das schlecht zu reden. Ich erzähle ihm, dass meine Mutter immer Präsidentin der Vereinigten Deutschen Staaten werden wollte, der Amtstitel Bundeskanzlerin, war ihr immer viel zu lasch, kein Wunder, dass uns niemand ernst nehme. Das wäre so, als wenn sie uns Kinder Chantal, Kevin und Jaqueline genannt hätte, da ist man einfach international nicht wettbewerbsfähig. Da ist man einfach nur da. Von Existenz könne da nicht mal die Rede sein. Sie habe immer gesagt, wir sollen uns nie die Butter vom Brot nehmen lassen, wir hätten es nicht nötig allen zu gefallen. Ich sage dem Psychologen, er solle jetzt bloß keine vorschnellen Schlüsse ziehen, denn man hätte mich in eine Frauenrolle hinein erzogen. Ich war ein vorbildliches, kleines Mädchen mit rosa Kleidchen und Lieblingsfarbe glitzerpink.
Der Herr Psychologe sagt: "Aha aha, so so."
Dann soll Peter von seiner Kindheit erzählen.
Ich sage: "Peter hatte vor mir kein Leben."
Peter mischt sich mit dem pseudo-pädagogischen Einwand ein: "Du bist Ödipussi und würdest trotzdem deinen Vater töten um mit deiner Mutter zu schlafen."
Ich sage zu Peter: "Halt die Fresse!"
Der feine Herr Psychologe ist entsetzt und sagt, wir sollen liebevoller miteinander umgehen.
Ich sage: "Entschuldigung Peter, halt die Fresse, bitte!"
Peters stille Aggressionen machen mich aggressiv und ich eskaliere schnell.
Ich frage den Psychologen, ob wir Peter fünf Minuten in den stillen Flur stellen können, das hilft mir, mich zu beruhigen.
Der Psychologe sagt: "Aha aha, so so."
Ich sage dem Psychologen, dass ich ihn für völlig überbezahlt halte, würde ich in meinem Job nur "aha aha so so" sagen, könnte ich seine Therapiestunde mit Sicherheit nicht bezahlen.
Der Psychologe wiederum hält sich für völlig unterbezahlt. Er sei der Beste aus seinem Jahrgang gewesen und hätte jede Menge Preise gewonnen. Was für welche will er nicht sagen. Sowieso wurde sein Talent ja immer verkannt, wegen solchen ignoranten Frauen wie mir. Heutzutage sei es ja überhaupt nicht mehr möglich ein glücklicher Mann zu sein, wegen der ganzen Emanzipationssache, die die Hormone ja völlig durcheinander gebracht hat und die Evolution hätte einen schweren Knacks erlitten, so dass die Testosteronproduktion bei den Frauen überhand nehme und Männer jetzt aus Angst mehr Östrogene produzieren würden. Kein Wunder, dass niemand mehr heiraten wolle. Die Sklaverei wurde ja auch nicht ohne Grund abgeschafft. In Wahrheit hasse er es verkorksten Pärchen wie uns vorzumachen, dass doch alles noch gut wird, denn das wird es nicht. Das ist gelogen, gelogen, gelogen. Dreimal gelogen.
Ich sage: "Aha aha, so so. Wissen Sie, was ich glaube? Sie, sie, sie brauchen mal ne Therapie."
Und da wird sein Gesicht rot und er schreit: "Halten Sie die Fresse".
Ich gucke ihn verwirrt an, er guckt mich verwirrt an und sagt: "Bitte!"
Peter lacht neben mir und ich sage: "Guck mal Peter, da ist ja jemand noch inkompetenter als du."
Die nächste halbe Stunde stippen Peter und ich Kekse in unseren Kaffee und lachen über alte Geschichten. Peter sagt, der feine Herr Psychologe hätte irgendwie Recht. Er hätte die Zeichen der Zeit bis jetzt auch noch nicht richtig erkannt. Aber nach all den Jahrhunderten des Patriarcharts, sei es wirklich an der Zeit, dass die Frauen das Steuer übernehmen und sich daran versuchen, eine bessere Welt zu erschaffen.
Ich klopfe Peter auf die Schulter und sage: "Siehst du, war doch gar nicht so schwer. Hätten wir aber auch billiger kriegen können."
Auf dem Weg nach draußen verabschieden wir uns händchenhaltend von dem feinen Herrn Psychologen, der noch brav zweieinhalb Stunden seine Strafe im stillen Flur abstehen muss. Er beschwert sich auch gar nicht darüber. Er sieht sogar ein bisschen glücklich aus. Vielleicht, weil er endlich akzeptieren kann, dass die Verantwortung für das Glück dieser Welt in die sanften Hände der Frauen gefallen ist.
Sabrina Schauer schreibt, um sich die Welt zu erklären. Dieser Erfolg ist bislang ausgeblieben, aber sie hat viel Spaß dabei. Sie ist seit Ende 2009 auf deutschen Poetry Slam Bühnen unterwegs – Hamburger Vizestadtmeisterin, NRW-Slam Drittplatzierte, Teilnehmerin der Deutschsprachigen Meisterschaften 2010 und Halbfinalistin 2013.
Hat in verschiedenen Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht u.a. Punchliner, Satyr Verlag, DUM-Magazin. Ihr erstes Buch "Löffelweise Alltagsscheiße" ist 2013 im Marianne Leim Verlag erschienen.